3. (außerordentliche) Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am 8. Juni 2016
TO 4: Vorzeitige Abberufung des hauptamtlichen Beigeordneten Sarah Sorge
Stadtverordnetenvorsteher
Stephan Siegler:
Die nächste Wortmeldung ist von Frau Pauli von der LINKE.-Fraktion. Bitte schön!
Stadtverordnete Dominike Pauli, LINKE.:
Sehr geehrter Herr Vorsteher,
sehr geehrte Damen und Herren!
Mit einem hat Herr Dr. Rahn ausnahmsweise einmal recht: Wir Frankfurter bezeichnen unsere Stadt gerne als bunte Stadt. Das sagen wirklich viele oder eigentlich alle von uns. Wenn ich da ein Farbbeispiel auswählen sollte, fände ich die Farbpalette des Regenbogens ganz gut. Meine Damen und Herren in der rechten Ecke, beim Regenbogen kommen Brauntöne aber nicht vor, und das ist auch gut so.
(Beifall)
Wie schon alle meine Vorredner.
(Zurufe)
Bitte? Okay, ich fange noch einmal an. Bei meiner Rede fange ich auch noch einmal so an, wie es auch alle Redner vor mir getan haben. Wir vollziehen formal heute das, was Wählerinnen und Wähler bei der letzten Kommunalwahl entschieden haben. Es wurde schon mehrfach gesagt, CDU und GRÜNE haben zusammen fast 17 Prozent verloren. Für uns LINKE geht es weniger um die Personen, als dass in erster Linie die Politik dieser Koalition abgewählt wurde. Wenn ich mir aber die Auftritte grüner Stadtverordneter in den letzten Sitzungen anschaue sowie Interviews scheidender Dezernenten anhöre und ansehe, dann scheint mir das doch so zu sein, dass sie diese Realität immer noch nicht so wirklich zur Kenntnis genommen haben.
Der Tenor liest sich so: Sie, meine Damen und Herren von der CDU und den GRÜNEN, meinen, Sie hätten eine super Politik betrieben, die aber nicht genug gewürdigt worden sei. Zum Beispiel im Bildungsbereich: In der Tat hat nicht alles Frau Sorge angerichtet, Sie hat eine Baustelle von ihrer Vorgängerin, ebenfalls eine grüne Schuldezernentin, übernommen und hat recht unglücklich und erfolglos operiert.
Aber auch bei der Debatte um das Wohnen in der letzten Plenarsitzung haben Sie, Herr Siefert, ich weiß jetzt gar nicht, wo Sie sitzen, eine Rede gehalten, die Glauben machen sollte, die Stadt Frankfurt hätte im Bereich des sozialen Wohnungsbaus in den letzten Jahren alles richtig und ganz besonders super gemacht – völlig unbeirrt der Tatsache, dass von 58.994 Sozialwohnungen im Jahr 1994 gerade einmal noch 27.535 Wohnungen im Jahr 2015 übrig geblieben sind. Das sind weniger als die Hälfte und davon werden bis 2020 auch noch mehr als 5.000 Wohnungen aus der Sozialbindung fallen. Sie werden es nicht schaffen, so viele neue Sozialwohnungen zu bauen, um diesen Schwund wirklich aufhalten zu können. Deshalb halte ich das für Nebelkerzen und für Schauspielertricks, wenn Sie sagen, der Schwund sei praktisch gestoppt.
(Beifall)
Aber die Beispiele zeigen, dass Sie nicht verstanden haben, dass Ihre Politik, meine Damen und Herren von CDU und GRÜNEN, die Spaltung in dieser Stadt vorangetrieben und verfestigt hat und Sie nicht zuletzt auch deshalb abgewählt wurden.
Das habe ich mir auch gedacht, als ich ein Interview mit dem Kämmerer in der Frankfurter Rundschau gelesen habe mit der Ãœberschrift: „Wir leisten uns keinen Luxus“ – aber holla. Da ist mir gleich einmal das Stadthaus eingefallen, das am kommenden Sonntag eröffnet und locker 20 Millionen Euro mehr kosten wird, als ursprünglich veranschlagt war. Dazu gehören die Luxusgeschichten der Römerberg-Bebauung und das Romantikmuseum, für das die Stadt Frankfurt ein eventuelles Defizit in der Finanzierung übernimmt. Tausend andere Sachen sind mir eingefallen. Sie haben sich sehr wohl Luxus geleistet. Aber als die Massageschule in Höchst zur Diskussion stand, die weniger als 100.000 Euro im Jahr gekostet hat, haben Sie sie geschlossen. Auch die Musikschulen und die freien Träger in der Sozialarbeit werden seit Jahren nicht ordentlich refinanziert.
Vor allem haben Sie sich den Luxus geleistet, mit Ihrer verfehlten neoliberalen Politik nichts gegen die Segregation in dieser Stadt unternommen zu haben. Das ist das allerschlimmste.
Wenn Sie Ihre eigenen statistischen Angaben und Berichte lesen, zum Beispiel den Segregationsbericht, dann werden Sie herausfinden, dass die eine Hälfte der Frankfurter in Stadtteilen mit erhöhter sozialer Benachteiligung lebt und die andere Hälfte in privilegierten Stadtteilen. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung beschreibt das sehr gut. Die Unterschicht der Dienstleistungsgesellschaft lebt heute in prekären ökonomischen Verhältnissen, sozial isoliert und sozialräumlich segregiert in Stadtteilen, deren soziale Bandbreite allein durch die Einkommensarmut der Bewohner bestimmt wird. Das Institut der deutschen Wirtschaft, auch keine Vorfeldorganisation der LINKEN, schreibt in einer Studie zur Einkommensarmut in Deutschland aus regionaler Sicht: „Frankfurt ist eine der Städte, in der es die stärkste räumliche Trennung von arm und reicht gibt.“ Das ist die Hinterlassenschaft von zehn Jahren Schwarz-Grün, das ist Ihre politische Hinterlassenschaft. Deshalb sind Sie abgewählt worden.
(Beifall)
Zum Problem der Segregation kommen in Frankfurt natürlich noch die extrem hohen Fahrpreise. Dadurch werden die Mobilitätsräume für Menschen mit wenig Geld immer enger. Das Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe führt in einem aktuellen Papier über Kinder unter 15 Jahren in Bedarfsgemeinschaften im SGB II aus, dass auch im reichen Frankfurt die Hilfsquote in diesem Bereich steigt, und zwar von 19.987 Fälle im Dezember 2010 auf über 22.000 im Dezember 2015. Das sind die Gründe oder Teile der Gründe, warum Sie abgewählt wurden.
Jetzt noch einmal zur heutigen Abwahl der beiden Dezernenten. Wir wählen heute auch Politikerinnen und Politiker ab, die exemplarisch für einen bestimmten Kommunikationsstil mit Bürgerinnen und Bürgern stehen, der eher von obrigkeitsstaatlicher Denkweise und Arroganz getragen wurde als vom Bestreben, wirkliche Partizipation zu erreichen. Was die Bildungsdezernentin anbelangt, weise ich auf die zahlreichen Presseberichte hin. Ich habe sie oft genug im Ausschuss und vor allem in den Ortsbeiräten erlebt. Auch der Planungsdezernent Cunitz hat sowohl in der Angelegenheit Markomannenweg in der Engelsruhe als auch einigen anderen einen kommunikativen Gau hingelegt. Was das anbelangt, meine Damen und Herren von Schwarz-Grün, habe ich die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, denn Sie scheinen etwas gelernt zu haben, heißt es doch in Ihrem Koalitionsvertrag gemeinsam mit der SPD, der das vielleicht auch zu verdanken ist, ich zitiere: „Bei der Stadtentwicklung und Gestaltung unserer Stadt setzen wir auf eine ehrliche, frühzeitige und transparente Kommunikation im Dialog mit den Menschen.“
Das finde ich gut. Wenn Sie etwas gutmachen, sollte man Sie dafür auch einmal loben. Das ist vielleicht auch etwas, was Sie von den abgewählten Dezernenten als Negativbeispiel lernen können. Es ist ein guter Vorsatz. DIE LINKE als einzige soziale Oppositionsfraktion in diesem Haus, fürchte ich, wird Sie gelegentlich darin erinnern müssen. Da bin ich mir ziemlich sicher.
Jetzt noch ein paar Worte zum Koalitionsvertrag, der unter der Ãœberschrift steht: „Die Herausforderungen der wachsenden Stadt bewältigen.“ Das klang erst einmal gut. Ich habe angefangen zu lesen und konnte es kaum glauben, Sie liquidieren die Eigenständigkeit des Integrationsdezernates. Sie liquidieren ein eigenständiges Dezernat, das von der einzigen Dezernentin mit Migrationshintergrund geführt wird in einer Zeit, in der die Frage der Integration eine Kernfrage in unserer Stadt ist. Meine Damen und Herren, was haben Sie sich nur dabei gedacht?
(Beifall)
Das ist eine rhetorische Frage, ich weiß, dass es hier um Koalitionsarithmetik geht. Ich kann nur sagen, DIE LINKE findet das furchtbar. Es fehlt dazu auch noch ein richtiges Integrationskonzept. Sie haben eine Dezernentin, die zehn Jahre lang ehrenamtlich sehr gute Arbeit in dieser Stadt geleistet und sich auch international in dieser Frage einen Namen erarbeitet hat, einfach aus machtpolitischem Kalkül abserviert.
Aber es gibt noch mehr, was mir nicht gefallen hat. Ganz besonders unangenehm zu lesen war in diesem Koalitionsvertrag, dass die VHS gerade einmal magere drei Zeilen abbekommen hat und Sie bei den potenziellen Gesprächspartnern in Sachen Schulentwicklung die Elternvertretung vergessen haben. Ich nehme an, das ist der Eile geschuldet, mit der dieses Papier geschrieben werden musste.
Nach der Lektüre dieses Vertrages bin ich eher skeptisch. Frankfurt hätte einen Politikwechsel dringend nötig gehabt, aber dieser Koalitionsvertrag beschreibt eigentlich eher ein „Weiter so“ – leider auch in der Frage der Gewerbesteuer. Da mussten sich SPD und GRÃœNE der CDU beugen. Wir halten das für falsch. Aber ich will auch nicht verhehlen, dass einige Punkte durchaus unsere Zustimmung finden. Ganz zuallererst natürlich der Punkt, dass die Mieten bei der ABG nur noch um ein Prozent pro Jahr erhöht werden. Das ist ein großer Erfolg für einige Parteien hier in diesem Haus, aber auch für alle Initiativen, die in den letzten Jahren das Geschäftsgebaren der ABG Holding kritisch begleitet haben. An allererste Stelle möchte ich da die ABG?Kampagne nennen. Noch besser wäre es natürlich gewesen, Sie hätten die strategische Ausrichtung der ABG dahin gehend korrigiert, das sie ihre ursprüngliche Aufgabe, nämlich diejenigen mit Wohnraum zu versorgen, die auf dem freien Markt kaum Chancen haben, wieder ausreichend erfüllt. Das kommt vielleicht noch.
Gut finde ich auch die zusätzlichen zwei Millionen Euro für die freie Theaterszene. Begrüßenswert ist, dass Kinder und Jugendliche freien Eintritt in Museen bekommen und ein Kinder- und Jugendtheater geplant wird. Ich habe gestern einen diesbezüglichen Antrag als Ortsbeiratsmitglied in Höchst abgeschickt, in dem der Magistrat gebeten wird zu prüfen, ob dieses Kindertheater im Gebäude des Bahnhofes in Höchst errichtet werden kann.
Nennen will ich auch die vorgesehene Personalverstärkung im Stadtschulamt, die Erhöhung des Medienetats der Stadtbücherei und die Angleichung der Aufwandsentschädigung der Kinderbeauftragten an die der Sozialpfleger. Und nicht zuletzt und mit ganz besonderer Freude konnte ich feststellen, dass Sie sich durchringen konnten, den Seniorenbeirat zu stärken, indem sie ihm mehr Rechte vor allem zur eigenständigen Öffentlichkeitsarbeit einräumen. Dafür hat der Seniorenbeirat in den letzten Jahren parteiübergreifend gestritten, dafür ist den Seniorenbeauftragten zu danken. Ich freue mich, dass sie diesen Erfolg jetzt verbuchen können.
Das ist zwar alles gut und schön, aber nicht genug. Es muss die Aufgabe der Stadtregierung in den nächsten Jahren sein, in den Stadtteilen mit vielen Segregationsmerkmalen bessere Verhältnisse zu schaffen und nicht das sechste Gymnasium auch noch ins Westend zu stellen oder – ich konnte es kaum glauben, als ich es gelesen habe – die Gründung von Privatschulen allzu wohlwollend zu begleiten.
Sie müssen für Menschen mit kleinem Portemonnaie, die sich soziale Leistungen nicht kaufen können und auf die öffentliche Daseinsvorsorge angewiesen sind, Angebote schaffen. Ganz besonders wichtig wird es sein, Konzepte gegen die kontinuierlich wachsende Langzeitarbeitslosigkeit in unserer Stadt zu entwickeln. Dazu fordert DIE LINKE ein kommunales Beschäftigungsprogramm und hat dafür auch eine Idee, die wir Herrn Stadtrat Frank zu verdanken haben. Denn ein Baustein für ein solches Programm könnte eine groß angelegte Insourcing-Kampagne im Grünflächenamt sein, dem sie immerhin auch zwei Millionen Euro jährlich mehr geben und eine Personalaufstockung zukommen lassen wollen.
Stadtrat Frank hat uns in der letzten Ausschusssitzung über die guten Erfahrungen seines Sportdezernates beim Thema Insourcing berichtet. Er hat darauf hingewiesen, dass Aufgaben dadurch besser und preiswerter erledigt wurden und die Zufriedenheit der Mitarbeiter deutlich gestiegen ist. Das nenne ich einmal Abkehr vom neoliberalen Gehabe, Privates auszulagern und hohe Rechnungen dafür bezahlen zu müssen. Die Arbeitsverhältnisse sind dort oft schlecht und die Leistungen meistens nicht sehr zufriedenstellend. Nehmen Sie die Erfahrungen als gutes Beispiel. Viele Sachen sind im Grünflächenamt und im Sportamt vergleichbar. Da lässt sich bestimmt einiges machen.
Im Großen und Ganzen ist Ihr Koalitionsvertrag eine Ansammlung guter Vorsätze mit nicht allzu vielen zukunftsweisenden Impulsen. Wie das besser gehen kann, können Sie im Koalitionsvertrag von Groß-Gerau nachlesen.
(Heiterkeit)
Da gibt es einen Vertrag zwischen SPD, GRÜNEN, LINKEN und PIRATEN. Nur weil es eine kleinere und nicht ganz so reiche Stadt ist, Herr Stock, gibt es keinen Grund, einfach zu lachen. Aber das zeigt, wie Sie Demokratie und Politik definieren, nicht wahr? Also, da gibt es einen Vertrag zwischen SPD, GRÜNEN, LINKEN und PIRATEN, in dem von Einstiegsmaßnahmen in den Nulltarif und von Rekommunalisierung die Rede ist. Flüchtlinge sollen direkt aus den Krisenregionen nach Groß-Gerau geholt werden. Das nenne ich einmal einen progressiven Koalitionsvertrag. In diesem Sinne bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit!
(Beifall)
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