7. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am 13. Oktober 2016
Tagesordnungspunkt 9.2: Start des neuen Konzeptes für den Behindertenfahrdienst verschieben
Stellvertretende Stadtverordnetenvorsteherin
Erika Pfreundschuh:
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9., Beförderungsdienst für Gehbehinderte, auf. Zu diesem Thema behandeln wir die Vorlagen B 219 des Magistrats, NR 118 der LINKE.-Fraktion und NR 122 der BFF-Fraktion. DIE LINKE.-Fraktion hat den Antrag zur Tagesordnung I gestellt. Die erste Wortmeldung kommt von Frau Stadtverordneter Buchheim. Bitte schön!
Stadtverordnete Astrid Buchheim, LINKE.:
Sehr geehrte Damen und Herren!
Es ist jetzt schwierig, inhaltlich wieder einzusteigen, aber dieses Thema ist zeitkritisch, weil es am 1. Dezember mit dem neuen Konzept des Fahrdienstes losgehen soll. Vor ziemlich genau vier Jahren war im Ausschuss für Soziales und Gesundheit Thema, dass die Fahrdienste nicht genügend refinanziert sind, um ihre Beschäftigten tariftreu zu vergüten. Damals wurde gesagt, dass nichts an der Vergütung geändert werden könne, da diese Bestandteil einer europaweiten Ausschreibung war. Nun wurde eine Möglichkeit gefunden, die Ausschreibung zu umgehen, was sehr zu begrüßen ist.
Gleichzeitig gibt es dadurch die Chance, endlich auch bei den Fahrdiensten Tariftreue zu ermöglichen. Allerdings soll es ab dem 1. Dezember 2016 für eine Fahrt mit dem Spezialfahrdienst werktags zwischen 6.00 Uhr und 21.00 Uhr nur noch pauschal 38,66 Euro geben, heute sind es noch 57,20 Euro. Das ist eine krasse Kürzung um knapp ein Drittel pro Fahrt. Begründet wird die Kürzung damit, dass ab Dezember die Disposition und die Abrechnung nicht mehr von den Fahrdiensten selbst erbracht werden sollen, da dies eine Firma aus Aschaffenburg übernimmt. In den Fahrdienstbetrieben soll es also keine Disposition mehr geben. In Betrieben mit mehreren angestellten Fahrerinnen und Fahrern soll das Erstellen der Dienstpläne und das Umdisponieren im Krankheitsfall dann wohl ehrenamtlich erfolgen. Gleichzeitig beschwichtigt das Sozialdezernat die Fahrdienstnutzerinnen und Fahrdienstnutzer, dass sich für sie ab Dezember nichts ändern werde, sie könnten weiterhin direkt bei ihrem Fahrdienst anrufen, um Fahrten zu bestellen, und das ohne Disposition. Das ist völlig absurd.
(Beifall)
Außerdem liegt der Behauptung, alle Nutzerinnen und Nutzer könnten auch ab Dezember weiterhin mit ihrem Fahrdienst fahren, eine weitere Absurdität zugrunde, da alle Fahrdienstbetriebe, die zurzeit für 57,20 Euro fahren, erklärt haben, dass sie für 38,66 Euro nicht weiter fahren können. Obwohl das Sozialdezernat das weiß, beschwichtigt es trotzdem. Auch das ist absurd. Das Problem ist der Preis. Es ist intransparent, wie er zustande kam, und es ist offensichtlich, dass er realitätsfern ist.
Bekannt sind aus der Sitzung des Ausschusses für Soziales und Gesundheit im September drei Annahmen, die der Preisberechnung zugrunde liegen sollen. Erstens: Die durchschnittliche Fahrtzeit soll 23 Minuten betragen. Wie diese Zahl ermittelt wurde, ist unklar, denn die jetzigen Betreiber wurden nicht gefragt. Für Anfahrt, Abholen in der Wohnung, eventuelle Unterstützung beim Anziehen der Jacke, Verlassen der Wohnung, Warten auf den Aufzug, Verlassen des Hauses, Einstieg ins Auto mittels Heberampe, Anschnallen, sowohl des Rollstuhls als auch des Menschen, Fahrt zum gewünschten Ziel, auch quer durch Frankfurt am Main im Berufsverkehr, Abschnallen, Ausstieg aus dem Auto und Abfahrt, scheinen 23 Minuten nicht sonderlich realistisch, zumal der Radius der Fahrten auch über die Stadtgrenzen hinaus geht. Wenn eine Fahrt 23 Minuten dauern darf, sind innerhalb von zwei Stunden fünf Fahrten möglich und es bleiben sogar noch fünf Minuten Puffer. Soll das dann die Pause sein? Das ist eine unrealistische Arbeitsverdichtung, der sich nur durch Zeiteinsparung angenähert werden kann. Am wahrscheinlichsten ist es, dass an der Sicherheit gespart wird und das ordnungsgemäße Sichern des Rollstuhls sowie das Anschnallen wegfallen werden und versucht werden muss, möglichst schnell an das Ziel zu kommen. Fahren unter Zeitdruck ist das Gegenteil von sicherer Fahrweise. Trotzdem können die 23 Minuten im Durchschnitt nicht eingehalten werden. Das bedeutet weniger Fahrten pro Stunde und weniger Einnahmen. Weniger Einnahmen werden in der Regel durch Lohnabsenkung kompensiert.
Die zweite Annahme ist die Entgeltgruppe Vier, auf der die Berechnungen basieren sollen. Diese Annahme ist schlichtweg falsch, da Fahrerinnen und Fahrer mit Personenbeförderungsschein der Entgeltgruppe fünf zugeordnet sind. Aber sehen wir uns einmal die Entgeltgruppe vier des TVöD an. Diese bedeutet neben Jahressonderzahlung, 30 Tagen Urlaub, betriebliche Altersvorsorge und so weiter einen Bruttostundenlohn zwischen 12,35 Euro und 15,76 Euro, doch nicht einmal der kann von der geplanten Grundvergütung bezahlt werden. Zufälligerweise hat Stuttgart eine Pauschale von 38,86 Euro. Einer Stellenanzeige aus Stuttgart ist zu entnehmen, dass Fahrerinnen und Fahrer neun Euro brutto die Stunde bei 26 Urlaubstagen bekommen. Das ist weit unter Tarifniveau. Dies würde es auch für Frankfurt bedeuten, sollten die 38,66 Euro kommen. Der Betreiber eines Fahrdienstes hat in der Sitzung des Ausschusses für Soziales und Gesundheit am 06.10.2016 vorgerechnet, dass er bei 1.700 Fahrten pro Monat trotz der Zulagen für Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit ein monatliches Defizit von 18.000 Euro hätte. Das könnte er nur über die Personalkosten ausgleichen und das bedeutet eine Verschlechterung bis zur Mindestlohngrenze.
Die dritte Annahme ist der Pflegemindestlohn, auf dem die Berechnung der zusätzlichen Unterstützungsperson basiert. Eine zweite Person ist notwendig, wenn ein Ort nicht barrierefrei ist und der den Fahrdienst nutzende Mensch mitsamt seines Rollstuhls Treppen hinauf oder hinab muss. Momentan kommt als zweite Person noch eine Fahrerin oder ein Fahrer hinzu. Nach Überlegung des Sozialdezernats soll nun eine Stelle zweiter Klasse geschaffen werden, die noch nicht einmal nach einer Entgeltgruppe bezahlt werden soll, sondern nur nach dem Pflegemindestlohn. Das ist eine glasklare Unterwanderung der Tariftreue. Zudem ist die Idee auch nicht alltagstauglich, denn wenn über einen längeren Zeitpunkt keine Unterstützungsperson gebraucht wird, sie aber vorgehalten werden muss, dann rechnet sich das für die Fahrdienstbetriebe nicht. Auch das wird auf Kosten des Personals gehen, zumal der Pflegemindestlohn überhaupt keinen Sinn ergibt, da es hier nicht um Pflege geht.
Ich halte fest: Bliebe es bei der Grundvergütung von 38,66 Euro, würde damit eine Vielzahl bestehender Arbeitsplätze wegfallen und prekäre Arbeitsplätze geschaffen werden. Ehrenamtliche Menschen, die disponieren, mehrere Dutzend Beschäftigte, die in Zukunft für den Mindestlohn arbeiten gehen, und einige, die eigentlich den Pflegemindestlohn bekommen sollten, wahrscheinlich aber dank Bereitschaftsregelung so gut wie ehrenamtlich arbeiten sollen. Und dass in einer Stadt, in der sich schon jetzt kaum jemand mehr das Wohnen leisten kann. Das ist Lohndumping mit öffentlichen Mitteln.
(Beifall)
Unsere Forderungen sind: Die Berechnung der Vergütung muss transparent, realistisch und auf Grundlage des geltenden Tarifvertrages erfolgen. Weiterhin sind nur Anbieter zuzulassen, die eine Tarifbindung nachweisen. Es muss Schluss mit der ständigen Unterwanderung der Tariftreue sein, kein Lohndumping mit öffentlichen Mitteln.
(Beifall)
Stellvertretende Stadtverordnetenvorsteherin
Erika Pfreundschuh:
Vielen Dank, Frau Momsen! Die bisher letzte Wortmeldung kommt von Frau Buchheim, die LINKE. Bitte, Sie haben das Wort!
Stadtverordnete Astrid Buchheim, LINKE.:
Wir haben einiges gehört. Frau Schubring sprach von der Freiwilligkeit der Leistung. Diese Leistung gibt es, weil der ÖPNV in Frankfurt nicht barrierefrei ist, eine Teilhabe aller Menschen an der Mobilität aber gewährleistet sein muss. Von daher möchte ich die Freiwilligkeit etwas relativieren. Außerdem ist Freiwilligkeit kein Grund für Tarifflucht.
Frau Schubring hat wiederholt, dass sich für die Nutzerinnen und Nutzer nichts ändert. Sie können weiter bei ihren Fahrdiensten anrufen. Das, obwohl sie keine Disposition mehr haben und obwohl sie erklärt haben, sie fahren nicht mehr. Genau solche widersprüchliche Aussagen führen zu den Ängsten der Nutzerinnen und Nutzer. Ich verstehe es einfach nicht, wie die Leute noch bei ihren alten Fahrdiensten anrufen können, wenn diese erstens nicht mehr zu diesem Preis fahren können und zweitens, wenn sie fahren könnten, aber keine Disposition mehr haben, wo angerufen werden kann. Darauf habe ich bislang noch keine Antwort.
(Beifall)
Dann möchte ich Herrn Schenk widersprechen, der von einer sozialen Stadt gesprochen hat. Es ist für mich keine Frage der sozialen Stadt, sondern einer barrierefreien Stadt. Für mich ist es eigentlich kein soziales Thema, sondern ein Verkehrsthema. Es geht um die Mobilität von allen Menschen. Ich verstehe nicht so ganz, warum das nicht im Verkehrsausschuss angesiedelt ist, sondern im Sozialausschuss. Das ist ein anderes Thema. Weiterhin hat Herr Schenk gesagt, dass der eine Betreiber gesagt hätte, zehn Euro mehr und dann fährt er weiter. Dieser Betreiber hat keine Tarifbindung. Er zahlt unterhalb des Tarifs. Von daher sind für mich diese zehn Euro betriebswirtschaftlich für seinen Betrieb eine Hausnummer, aber nicht für die Tariftreue.
Frau Busch hat die Leiterin des Jugend- und Sozialamtes zitiert, die im Sozialausschuss gut Rede und Antwort gestanden hat. Sie hat eher von einem Euro gesprochen als von zehn Euro. Es war nicht so, dass die Nutzerinnen und Nutzer beruhigt aus diesem Sozialausschuss gehen konnten. Außerdem wird ein Bericht in Aussicht gestellt. Dieser hilft aber augenblicklich nicht. Gegenwärtig sind die Ängste da. Es muss Transparenz hergestellt werden, insbesondere wie das mit den Anrufen beim alten Fahrdienst gehen soll.
Daher kommen die Ängste. Ich würde sagen, eine Verschiebung wäre nicht notwendig, wenn theoretisch alle alten Fahrdienste weiter fahren würden. Das können sie aber nur, wenn sie tariftreu refinanziert sind und endlich eine Transparenz hergestellt wird, wie die Disposition gelöst ist. Ich kann nur noch einmal sagen, kein Lohndumping mit öffentlichen Mitteln, und dann kann die Umstellung auch klappen.
(Beifall)
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