Museumsbesuche sind ein familiäres Erlebnis

9. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am 15. Dezember 2016

Tagesordnungspunkt 6: Änderung der Eintrittspreisregelung für die städtischen Museen und das Institut für Stadtgeschichte

Stellvertretender Stadtverordnetenvorsteher

Ulrich Baier:

Als nächster Redner hat Herr Stadtverordneter Müller von der LINKE.-Fraktion das Wort. Von den Stadtverordneten liegt mir dann keine weitere Wortmeldung mehr vor. Bitte schön, Herr Müller!

Stadtverordneter Michael Müller, LINKE.:

Herr Vorsteher,

meine Damen und Herren!

Es ist wahrlich nicht einfach, nach drei Rednern zu sprechen, die sich so einig sind. Ich muss meinem Vorredner recht geben, man ist es von der Koalition eigentlich nicht gewohnt, dass sie sich so einig sind.

(Beifall)

Scheinbar ist bei Ihnen auch schon die vorweihnachtliche Ruhe eingekehrt, ich werde mich bemühen, diese Ruhe nicht allzu sehr zu stören.

Vorneweg: Wir haben dem Antrag der Koalition zugestimmt, dennoch möchte ich ein wenig Wasser in den Wein gießen. Wenn man darüber nachdenkt, war die Gründung der ersten Museen ein Akt der Emanzipation. Es sollte eben nicht länger nur dem Adel und den höheren Ständen vorbehalten sein, Museen zu besuchen, Kunst zu erfahren und Kultur zu genießen, sondern buchstäblich alle sollten kommen, alle sollten sich an Ausstellungsstücken erfreuen und sich im besten Sinne bilden. Deshalb war das Museum auch schon immer ein Ort der Offenheit. Neugierde wurde ausgestrahlt, zum Denken wurde angeregt. Wenn wir uns aber die heutige Debatte über Abschiebung anschauen, wenn man sich generell die Situation der Gesellschaft anschaut, in der wir uns befinden, dann muss man sagen: Vor dem heutigen konservativen roll back, den wir erfahren, ist es wichtiger denn je, dass wir Museen haben, die offen sind für alle und Neugierde ausstrahlen.

(Beifall)

Unserer Meinung nach kommt Museen wahrscheinlich noch viel mehr als früher die Rolle zu, das soziale Gefüge der Gesellschaft zu bewahren und Menschen aller Couleur, aller Schichten zu ermöglichen, ihren Horizont zu erweitern. Um das zu realisieren, ist es natürlich eine notwendige Voraussetzung, dass wir eine möglichst große Bandbreite von Personen erreichen und ansprechen, um sie in die Museen zu bekommen. Vor diesem Hintergrund haben wir dem Antrag zugestimmt, Kindern freien Eintritt in die städtischen Museen zu gewähren. Allerdings ist die Koalition auf halbem Weg stehen geblieben. Ich kann die Kulturdezernentin nur ermutigen, dass sie sich ihre Vision nicht nehmen lässt. Sie haben einmal von einer Vision gesprochen, dass es weitergehen muss, dass Museen generell kostenfrei sind. Wir werden Sie darin unterstützen, weil es der richtige Weg ist.

(Beifall)

Was wir als LINKE konkret fordern, ist neben der Kostenfreiheit für Kinder, dass sie natürlich auf die Begleitpersonen ausgeweitet wird. Ich werde später sagen, warum es vollkommen logisch ist, dass man diese Forderung aufgreifen muss. Außerdem wollen wir, was viele Vorredner der Koalition ebenfalls schon gesagt haben, perspektivisch eine Ausweitung auf alle Museen.

Jetzt komme ich zu dem häufig genannten Terminus von Kultur für alle. Ja, es gab einmal eine wegweisende Museumstagung, das war 1975 hier in Frankfurt, da war ich noch gar nicht auf der Welt. Der Ulmer Verein meinte damals, dass Kulturpolitik einen sozial- und bildungspolitischen Anspruch hat und man dieser Verantwortung stärker gerecht werden müsse. Der von Ihnen bereits zitierte Frankfurter Kulturdezernent Hilmar Hoffmann sagte in diesem Zusammenhang, dass man Kunst als soziokulturellen Faktor in der gesellschaftspolitischen Strategie für das Ziel einer größeren Bildungsgerechtigkeit begreifen muss. Dem können wir uns als LINKE-Fraktion nur anschließen. Was passierte in den folgenden Jahrzehnten? Natürlich gab es zahlreiche Anstrengungen, auch hier in Frankfurt, die Häuser haben sich bemüht. Es wurden Angebote gemacht, besucherorientierter zu werden, es wurde versucht, Schwellenängste zu nehmen und bislang kaum repräsentierte Zielgruppen zu erreichen.

Dennoch müssen wir uns heute selbstkritisch fragen, ob Kultur für alle tatsächlich Realität in Frankfurt ist. Hier habe ich eine dezidiert andere Meinung als Sie, liebe Koalitionäre. Noch immer sind Museen, bei realistischer Betrachtung, Orte der Abgrenzung. Unsichtbare Sozial- und Klassenschranken bestehen weiter. Für viel zu viele Menschen bleiben Museen und Kultureinrichtungen generell utopische Dörfer. Lustigerweise erwähne ich jetzt auch das Folkwang Museum, allerdings zitiere ich aus einer Studie der Heinrich-Heine-Universität. Diese hat für das Folkwang Museum herausgefunden, dass der Museumsbesuch im Wesentlichen vom Bildungsgrad abhängt. Beim Folkwang Museum hatten 66,5 Prozent der Besucher einen Hochschulabschluss und lediglich 0,6 Prozent einen Hauptschulabschluss. Das ist doch Ausdruck eines Dilemmas. Wir können eben nicht sagen, Kultur für alle. Ich wage die These, dass das auch in den Frankfurter Museen nicht gravierend anders ist. Warum, bitte schön, sollte denn in Frankfurt die Situation grundlegend anders sein? Da müssen wir nachbessern.

Wenn Sie sagen, freier Eintritt für Kinder: Ja, das ist richtig. Es wurde übrigens von den Koalitionären kaum über die Kinder gesprochen. Deswegen möchte ich kurz darüber sprechen, warum uns das so wichtig ist. Kinder haben nämlich im Gegensatz zu vielen Erwachsenen tief in sich drin die Motivation, Neues zu erfahren. Wer ist denn neugieriger als Kinder? Wer ist freudiger, Dinge unvoreingenommen kennenzulernen? Das sind doch die Kinder. Leider Gottes vergessen Erwachsene oft diese Funktion. Von daher kann man doch mit gutem Gewissen sagen, Kinder sind großartige Lerner von Geburt an. Deshalb ist es richtig und sinnvoll, dass Sie diesen Weg gehen und Kindern ermöglichen, dieser Motivation voll umfänglich nachzugehen.

(Beifall)

Ich habe aber auch gesagt, wenn es jetzt darum geht, die sozialen Schranken abzubauen, verharren Sie auf halber Strecke. Man kann nur hoffen, dass Sie den Weg zu Ende gehen. Es wäre angebracht, auch Begleitpersonen von Kindern freien Eintritt zu gewähren. Es ist leider nicht damit getan, zu sagen, es gibt ja den freien Samstag einmal im Monat. Was soll das denn? Wie erklären Sie denn dem sieben- oder achtjährigen Kind, das jung genug ist, um freien Eintritt zu bekommen, aber trotzdem nicht in die Museen gehen kann, weil es sich die Eltern nicht leisten können. Die hohen Fahrpreise erwähne ich dabei gar nicht. Realistisch ist es doch, was wir in unserem Antrag fordern, dass man als nächsten Schritt dieses Recht auch auf die Begleitpersonen ausweiten muss. Ich kann nur hoffen, dass wir diesen Schritt gemeinsam gehen.

(Beifall)

Wir sehen im Gegensatz zu Ihnen Museumsbesuche auch als familiäres Erlebnis. Ich habe es im Ausschuss für Kultur und Freizeit schon gesagt, es ist nicht allein damit getan, zu sagen, es sei ein schulisches Erlebnis. Nein, Kultur und Museumsbesuche müssen für die Familien als Kollektiv erfahrbar sein. Um das zu realisieren, hätten Sie unserem Antrag zustimmen müssen.

(Beifall)

Wir sind der Meinung, die soziale Hemmschwelle für alle Kinder wird eben nur dann behoben, wenn auch deren Begleitpersonen freien Eintritt erhalten. Deswegen noch einmal: Bessern Sie an dieser Stelle nach.

Ich möchte Ihren Horizont ein bisschen erweitern und werfe einen Blick nach London ins Vereinigte Königreich. Wissen Sie, wie dort die Situation ist? 2001 hat der Staatskanzler freien Eintritt für alle Museen ermöglicht.

(Zurufe)

Aber die Präsenzausstellungen sind kostenlos. Die Konsequenz war, dass die Museen näher zu den Menschen gerückt sind. Fahren Sie nach London und gehen Sie in die Tate. Schauen Sie sich an, was dort in der Mittagspause passiert, Menschen gehen spontan in die Museen, sie erleben die Gebäude, sie nutzen die Dachgärten, es werden Cafeterien genutzt. Museen verlieren quasi den Nimbus eines leider immer noch oft Elitären. Hier war das Vereinigte Königreich Vorreiter. Wenn wir schon viel von London profitieren wollen, sollten wir uns das, bitte schön, als Stadt Frankfurt am Main zum Maßstab machen.

(Beifall)

Ich möchte Ihnen noch etwas sagen: Die Konsequenz in London war interessant. Es kamen viel mehr Menschen in die Museen, aber vor allem kamen ganz andere Gruppen von Menschen in die Museen. Es gehen Freunde oder Cliquen ins Museum, man verbringt die Nachmittage im Museum, man nutzt die Kultur im besten Sinne beiläufig, nämlich immer dann, wenn es gerade in den Sinn kommt. Es ballt sich nicht wie hier bei uns, wo ärmere Familien an dem speziellen einen Samstag eintrittsfrei ins Museum gehen wollen und dann anstehen müssen. Nein, was in England ermöglicht wurde, war eine komplette Liberalität, was den Zugang zu Museen betrifft. Das muss die Herausforderung für die nächsten Jahre sein.

(Beifall)

Ein letzter Punkt zu den Kosten. Es gab im Jahr 2012 eine Anfrage von der Piraten-Fraktion. Es ist kein Argument zu sagen, dass die Museen Eintrittsgelder verlangen müssen. Nein, nur zu einem geringen Anteil finanzieren sich Frankfurter Museen über ihre Eintrittsgelder. Das wurde auch schon vorhin in der Debatte gesagt. Von daher ist es kein Argument zu sagen, wir können uns das nicht leisten. Wenn der Wille da ist, dann ist auch diese kulturelle Herausforderung leistbar. Von daher ist da der Weg noch nicht zu Ende gegangen.

Ich komme zum Schluss, weil schon alles gesagt ist. Letztlich sind es doch die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Frankfurt, die die Museen tragen. Es ist doch letztlich das Kollektiv, das sich selbst auch ermöglichen kann, den Zugang in die Museen zu erleichtern oder gar kostenfrei zu stellen. Wenn in Großbritannien schon freier Eintritt Common Sense ist, dann wäre es schön, wenn in Frankfurt am Main freier Eintritt in Museen für alle möglichst rasch Common Sense würde.

Vielen Dank!

(Beifall)

Hier können Sie die Rede als PDF-Datei herunterladen.

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