16. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am 31. August 2017
Tagesordnungspunkt 6: Kommunalpolitscher Situationsbericht des Oberbürgermeisters
Stellvertretender Stadtverordnetenvorsteher
Ulrich Baier:
Bitte schön, Frau Pauli, Sie haben jetzt das Wort!
Stadtverordnete Dominike Pauli, LINKE.:
Sehr geehrter Herr Vorsteher,
sehr geehrte Damen und Herren!
Jetzt ist leider der Herr Oberbürgermeister nicht da, aus gutem Grund, wie ich finde, aber trotzdem. Er ist heute Abend schwer gescholten worden. Ich will nicht wie andere im Haus davon sprechen, dass er in städtischen Publikationen häufiger abgebildet wird, als früher der Staatschef der Sowjetunion, der Genosse Breschnew in der Prawda.
Ich möchte gerne über etwas Wichtigeres reden, nämlich über den wirtschaftlichen Teil dieser Stadt, anhand des Wegzugs der Firma Brandenburg. Als die Stadtdiskussion über die Firma Brandenburg anfing, wurde vom Magistrat betont, wie wichtig diese Firma und diese Arbeitsplätze sind und man würde einiges dafür tun, diese Firma in Frankfurt zu halten, notfalls wohl auch gemeinsam mit Maintal. Allerdings, nachdem jetzt bekannt geworden ist, dass die Firma Brandenburg wegzieht, hat man im Zusammenhang mit dieser Sache von allen Seiten – der Presse, der Industrie- und Handelskammer, den Gewerkschaften und anderen – heftige Kritik am Magistrat vernommen. Die IHK, Herr Frank, hat Ihnen bereits Anfang des Jahres vorgeworfen, in Frankfurt eine De-Industrialisierungspolitik zu betreiben. Am 20. August hat die FAZ dem Wirtschaftsdezernenten Markus Frank ein dickes Minus verpasst und das mit der Begründung, dass die Wirtschaftsförderung es seit Jahren versäumt hat, ausreichend Gewerbeflächen für investitionswillige Betriebe vorzuhalten. Dann schreibt die Zeitung weiter, dass in Frankfurt nur der Flughafen und der Finanzplatz wichtig sind, während es der Industrie an einer Lobby fehle, trotz der hohen Gewerbesteuerzahlung. Es kommt nicht so oft vor, aber in diesem Punkt gibt DIE LINKE der FAZ einmal Recht, Flughafen und Finanzplatz liegen dem Magistrat näher als Blaumann-Arbeitsplätze. Dann kommentiert die FAZ am 18. August den Wegzug von Brandenburg folgendermaßen: „Der Wegzug wäre aber leichter zu verschmerzen, bestünde das Gefühl, es wäre alles versucht worden, den Betrieb zu halten.“ Ähnliches finden Sie in anderen Zeitungen. Niemand wird der FAZ nachsagen können, dass sie uns nahesteht oder linke Wirtschaftsvorstellungen hat, ganz im Gegenteil. Wenn eine solche Zeitung und eine solche Presse Sie in dieser Art und Weise kritisieren, würde ich vielleicht einmal überlegen, ob das nicht tatsächlich auch stimmt. Aber auch von der anderen Seite gibt es Kritik. Der Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten in der Region Rhein-Main, Peter-Martin Cox, fordert, dass spätestens jetzt Konsequenzen gezogen und künftig genügend Flächen für das produzierende Gewerbe vorgehalten werden müssen. Er fordert vor allem auch, dass die Stadt früher mit Unternehmen, die ihre Produktion umstrukturieren wollen, ins Gespräch kommen müsste.
Wir LINKE reden nicht nur über die Wirtschaftskraft einer Stadt, sondern vor allem über das, was uns wichtig ist, nämlich über den Erhalt der Arbeitsplätze, die damit verbunden sind, und die soziale Sicherheit für die Menschen, die auch damit verbunden ist. Zwar haben die Arbeiterinnen und Arbeiter in Deutschland heutzutage deutlich mehr zu verlieren, als die Ketten von denen Karl Marx gesprochen hat, aber wenn sie ihren Arbeitsplatz verlieren oder keinen anständigen Arbeitsplatz finden, ist es immer noch so, dass die meisten Menschen vom Verkauf ihrer Arbeitskraft leben müssen. Sonst sind sie nämlich ganz schnell auf Hartz-IV-Zahlungen angewiesen. Das bedeutet Armut per Gesetz. Deshalb fordern wir LINKE ganz besonders den Erhalt und Ausbau der sogenannten Blaumann-Arbeitsplätze in Industrie und Gewerbe.
Der Oberbürgermeister hat vorhin davon gesprochen, dass die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse in Frankfurt um 40.000 gestiegen sind. Aber laut einer aktuellen Studie der Hans-Böckler-Stiftung ist der Anteil der Menschen in Frankfurt, die in der atypischen, also prekären Beschäftigung arbeiten, in den letzten Jahren auf 35 Prozent gestiegen und die Zahl der Mini-Jobber in unserer Stadt hat sich in den letzten drei Jahren mehr als verdreifacht, nämlich von 15.000 auf 49.400. Diese Zahlen stellen dem Gerede von dem Land, in dem alle gerne und gut leben, die Realität entgegen, denn das sind die Arbeitsplätze, die die Altersarmut von morgen produzieren und die Kinderarmut von heute, die in Deutschland so hoch ist, dass der Vorsitzende des Paritätischen Gesamtverbandes, Dr. Ulrich Schneider, sie zu Recht als Schande für Deutschland bezeichnet.
(Beifall)
So etwas Wichtiges wie anständige Arbeitsplätze in einer reichen Stadt, finde ich, kann man nicht weiter den Leuten von der CDU überlassen, die für einen Antrag, der einen Runden Tisch für die Entwicklung des Industrieparks Griesheim fordert – übrigens eine Forderung, die auch die Industrie- und Handelskammer so gestellt hat -, ein halbes Jahr Beratungsbedarf hat, um ihn dann mit Hängen und Würgen in Teilen abzulehnen und in Teilen mit Prüfung und Berichterstattung zu votieren. In dieser Zeit ging in Griesheim natürlich auch nichts voran, obwohl es drängt. Sie haben vielleicht alle gelesen, dass die mangelnde Auslastung der Spezialkläranlage nicht unbedingt ein Zeichen von einem Zuwachs von Gewebe und Arbeitsplätzen ist. Die Presse spricht mittlerweile von einem Ausbluten des Industrieparks. Abgesehen von Brandenburg bröckeln überall Arbeitsplätze ab. Hier eine kleine Firma in Sossenheim, dann geht noch ein Personaldienstleister nach Eschborn und so weiter.
Herr Oberbürgermeister, Sie sind wieder da, sehr schön. Herr Oberbürgermeister, Menschen brauchen nicht nur bezahlbaren Wohnraum, sondern auch ordentliche Arbeitsplätze und diese nicht nur im Nadelstreifenbereich. Da wirkt in Frankfurt leider noch der unselige Einfluss der früheren Oberbürgermeisterin Roth nach, die immer von Wissensnomaden fabuliert hat, ihrem Synonym für die Eliten, an deren Partikularinteressen sie die Stadtpolitik ausrichten wollte. Das war ihr Bild von Frankfurt, und für die CDU ist es das nach wie vor. Vielleicht aber auch für Teile der GRÜNEN, die den Verlust von 1.200 Arbeitsplätzen bei der Firma Brandenburg eher locker sehen, da es sich um eine Wurstfabrik und nicht um eine Tofumanufaktur handelt.
(Heiterkeit)
Herr Feldmann, Sie als SPD-Oberbürgermeister sollten dem entgegenwirken. DIE LINKE fordert Sie auf, die Sicherung von Arbeitsplätzen in Industrie und Gewerbe zur Chefsache zu machen. Grundlage für Ihr Engagement kann der Masterplan Industrie sein, der zusammen mit der Wirtschaft, den Gewerkschaften und der Stadt entwickelt wurde. Ich will nicht abstreiten, dass Herr Frank diesen Masterplan vorangetrieben hat und dass es in Frankfurt sehr viel besser gelaufen ist oder es sich besser entwickelt hat als bei den Vergleichsmasterplänen in Berlin und in Hamburg. In Frankfurt haben sogar die Gewerkschaften mit am Runden Tisch gesessen. Es hilft aber überhaupt nichts, wenn man einen wunderbaren Plan in der Schublade hat und dann nichts daraus macht. Der Masterplan ist seit Langem fertiggestellt, wurde vorgestellt und wunderbar präsentiert und er liegt nun quasi auf Eis.
Herr Feldmann, setzen Sie sich mit den Akteuren zusammen – viele von ihnen kennen Sie gut – und überlassen Sie die Sicherung der Arbeitsplätze nicht länger Herrn Frank, der überwiegend damit beschäftigt ist, sinnlose Gerichtsverfahren wegen der Sonntagsöffnung zu verlieren und der laut Gerichtsbeschluss bei der Rennbahn sittenwidrig und bei Demonstrationen zur Solidarität mit dem kurdischen Volk rechtswidrig gehandelt hat.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
(Beifall)
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