18. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am 16. November 2017
Aktuelle Stunde zur Frage Nr. 840: Wie viele Kinder werden seit 2017 jährlich in Frankfurter Kliniken zur Herstellung eines eindeutigen Geschlechts ohne medizinische Notwendigkeit operiert, und wie steht der Magistrat zu dieser Praxis?
Stadtverordnetenvorsteher
Stephan Siegler:
Vielen Dank, Herr Becker! Ich schließe damit diese aktuelle Stunde. Wir kommen zur Frage Nr. 840 zu den Operationen an der Universitätsklinik, angemeldet von den LINKEN. Ich darf um die Wortmeldungen bitten. Frau Hahn, bitte!
Stadtverordnete Pearl Hahn, LINKE.:
Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher,
meine Damen und Herren!
Am 10. Oktober hat das Bundesverfassungsgericht beschlossen, dass der Gesetzgeber bis zum 31.12.2018 eine verfassungsgemäße Regelung im Personenstandsgesetz einführen soll. Das neue Gesetz soll intersexuellen Menschen die Möglichkeit bieten, sich im Personenstandsregister auch als Inter oder Divers eintragen zu können.
Mit viel Freude vernahmen viele Menschen diese Nachricht. Und für alle, die es noch nicht begriffen haben, ja, es gibt mehr als zwei Geschlechter.
(Beifall)
Die längst überfällige Anerkennung von intersexuellen Menschen soll nicht bei dem Eintrag im Personenstandsregister enden. Das darauf folgende Resultat muss das sich Verabschieden der fiktiven Konstruktion der Zwischengeschlechtlichkeit sein. Wir brauchen nämlich mehr Anerkennung für intersexuelle Menschen.
Intersexuelle Menschen werden übermäßig einfach nicht gesehen, sie werden unsichtbar gemacht. Das Recht auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit wird ihnen oftmals verwehrt. Bei dem Eintrag soll es aber nicht enden. Was auf das Urteil folgen muss, ist die Abschaffung von unnötigen, nicht eingewilligten, geschlechtsangleichenden Operationen, die nämlich dazu dienen, das gesellschaftliche Konstrukt von Zwischengeschlechtlichkeit zu verfestigen und die Bandbreite an Geschlechtern zu verleugnen.
Betroffene Personen und die, die sich bei Intersexuelle Menschen e. V. organisieren und arbeiten, fordern nämlich eine Beendigung aller nicht eingewilligten, geschlechtsangleichenden Operationen. Die sind klar und deutlich mit deren Definition, nämlich die sagen, dass es sich um Genitalverstümmelung handelt. Die sehen das so, meine Damen und Herren und Herr Majer, das ist eine Definition, die Personen, die betroffen sind, tatsächlich nutzen, und dies würde ich auch gerne tun. Sie sehen sich ihres Geschlechtes und ihrer Sexualität oftmals beraubt.
Beim CSD dieses Jahres haben alle Parteien, die bei der kommunalpolitischen Bühne vertreten worden sind, bekundet, das Thema Trans und Intersex mehr in den Vordergrund rücken zu wollen. Beim LSKH gab es auch eine Veranstaltung zum Thema und da haben auch alle Parteien, die da waren, gesagt, dass sie gerne dieses Thema in den Vordergrund rücken wollen. Jetzt stehe ich hier und fordere die Einlösung dieses Versprechens.
Herr Majer, wir müssen bei Aussagen der Uniklinik genau hinschauen, denn Zwischengeschlecht.org, was eine europaweite Organisation ist, besagt, dass 80 Personen oder 80 Kinder pro Jahr in der Uniklinik zwangsoperiert werden. Deswegen frage ich, was ist der Maßstab, was ist nötig, und was ist nicht nötig?
Stadtverordnetenvorsteher
Stephan Siegler:
Frau Hahn, Ihre drei Minuten sind zu Ende.
Stadtverordnete Pearl Hahn, LINKE.:
(fortfahrend)
Ok, ein Moment, letzter Satz. Was können wir auf kommunaler Ebene machen, um das Recht auf körperliche und psychische Unversehrtheit für alle zu garantieren? Das ist meine Frage und meine Forderung an euch.
(Beifall)
Stadtverordnetenvorsteher
Stephan Siegler:
Vielen Dank, Herr Frischkorn! Die nächste Wortmeldung kommt von Frau Hahn von der LINKE.-Fraktion Bitte!
Stadtverordnete Pearl Hahn, LINKE.:
Ich habe vorhin meine Rede nicht zu Ende bringen können, um es wieder auf die kommunale Ebene herunter zu brechen. Wir haben schon gehört, es gab dieses eine Treffen beim LSKH, das Lesbisch-schwule Kulturhaus. Ich bin in Kontakt mit Menschen von Intersexuelle Menschen e. V. und Zwischengeschlecht.org. Das sind betroffene Personen, die Forderungen haben. Ich weise zurück, dass ich hier verklagt werden soll. Wissen Sie was, Frau Tafel-Stein? Dass wir diese neuen Gesetze haben, passierte nur aufgrund der Tatsache, dass eine Person, die intersexuell ist, geklagt hat. Deswegen haben wir diese neue Gesetzgebung. Da kann die Uniklinik mich auch gerne verklagen, weil ich hier Tatsachen vorbringe, die ich online gelesen habe und die ich erfahren habe in Kommunikation mit betroffenen Personen.
(Zurufe)
Ich war mit betroffenen Personen in Kontakt, auch mit Personen von diesen zwei Organisationen.
Jetzt zurück zur kommunalen Ebene. Mein eigentlicher Punkt war, was wir hier in Frankfurt machen können. Ich denke, da müssen wir Gespräche führen. Wir müssen Gespräche mit betroffenen Personen führen, auch mit Organisationen, um zusammenzukommen, weil es anscheinend einen Dissens gibt. Wir müssen auch Standards of Care schaffen, weil betroffene Personen und Initiativen, die sich mit diesem Thema beschäftigen, auch Forderungen haben. Forderungen, die wir auch auf kommunaler Ebene durchsetzen können, zum Beispiel Standards of Care. Das bedeutet, eine angemessene Betreuung, eine gute Beratung, eine Entschädigung oder Rehabilitation. Außerdem sollte Aufklärungsarbeit gemacht werden. Die fordern das ganz explizit. Natürlich hätten sie es auch sehr gerne, dass das Thema in die Lehrpläne aufgenommen wird, aber hier auf kommunaler Ebene haben wir auch die Möglichkeit, mehr Aufklärung zu betreiben. Sie brauchen beispielsweise Hilfe bei Gerichtsverfahren. Das sind Sachen, die wir auf kommunaler Ebene machen können.
Mein Appell für den heutigen Abend war, die Forderungen der jeweiligen Initiativen wahrzunehmen und zu schauen, wo wir sie umsetzen können. Das war alles, was ich heute Abend gerne erreichen wollte, dass wir endlich einmal darüber sprechen und schauen, was wir machen können. Mein Appell ist, dass wir uns zum Wohl von intersexuellen Menschen und deren Familien mit dem Thema beschäftigen und intersexuelle Menschen in ihrer Vollkommenheit endlich anerkennen müssen. Am Ende möchte ich die Worte von Lucie Veith nutzen, wenn ich darf – Lucie Veith ist die Vorsitzende von Intersexuelle Menschen e. V.: „Intersexuelle Menschen haben ein Geschlecht, nämlich das eigene. Das ist in der Gesellschaft noch nicht ganz angekommen.“ Wir auf kommunaler Ebene haben die Aufgabe zu schauen, ob es die Operationen gibt oder nicht. Klar, es könnte sein, dass meine Informationen falsch sind, aber eine Organisation wie Zwischengeschlecht.org ist europaweit tätig. Wenn ich denen nicht glauben darf, dann weiß ich auch nicht mehr weiter. Mein Punkt war einfach, nicht nur zu sagen, die Uniklinik lügt oder die sind alle schlecht, sondern zu sagen, wir haben eine Situation, wir haben Forderungen von intersexuellen Menschen, und die sollten wir wahrnehmen. Das war es.
(Beifall)
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