Bekämpfen Sie die Ursachen und nicht die Menschen

21. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am 1. März 2018

Aktuelle Stunde zur Frage Nr. 1050: Auf Basis welcher gesetzlichen Grundlage wurde der Vermerk in den Pass geschrieben, und was will der Magistrat gegen strukturellen Rassismus bei Frankfurter Behörden tun?

Stadtverordnetenvorsteher Stephan Siegler:

Damit beginnen wir mit der Aktuellen Stunde zur Frage Nr. 1050 von der LINKEN. Die erste Wortmeldung kommt von der anmeldenden Fraktion. Frau Hahn, Sie haben das Wort. Bitte!

Stadtverordnete Pearl Hahn, LINKE.:

Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher,

meine Damen und Herren!

Nachdem die Barverwarnungen der Stadt Frankfurt zu einer bundesweiten Berichterstattung und Empörung geführt haben, sorgt das Ordnungsamt unter der Führung von Markus Frank und der CDU erneut für empörende Schlagzeilen. Die Frankfurter Bevölkerung fragt sich zum Beispiel, weswegen die Stadtregierung in einer reichen Stadt wie Frankfurt mit einem Haushalt, den sich die meisten Kommunen gar nicht erträumen können, keine bessere Lösung für Obdachlose bieten kann, als die menschenunwürdige Unterbringung in der B-Ebene. Die Stadtregierung hat zugelassen, dass die Zahlen von Menschen ohne Obdach und festen Wohnsitz steigen. Es ist zu erkennen, dass es sich hier nicht um einen Einzelfall handelt, sondern um ein systematisches Fehlverhalten, eine systematische Ausgrenzung und Diskriminierung von Teilen dieser Gesellschaft. Der Abstand zwischen Arm und Reich wächst stetig.

Zu meiner Empörung hat der Stadtverordnete der CDU, Dr. Christoph Schmitt, in der letzten Sitzung des Ausschusses für Recht, Verwaltung und Sicherheit gesagt, dass niemand in dieser Stadt unter freiem Himmel schlafen muss. Auf Facebook hat er sogar Folgendes geschrieben: „Auf der Zeil muss niemand übernachten, da es mehr als genug Notunterkünfte in Frankfurt gibt.“ Was ist das für eine menschenverachtende Sichtweise? Sind Sinti und Roma etwa keine Menschen? Haben Sinti und Roma keinen Platz in dieser Stadt? Die Tatsachen zu verleugnen ist eine Verzerrung, Verdrehung und Verfälschung der Realität. Anstatt einen Stempel im Pass für aggressives Betteln zu setzen, sollte sich die Koalition fragen, weswegen es überhaupt zu aggressivem Betteln kommt. Fragen Sie sich doch, ob manche Menschen in dieser Stadt Schwierigkeiten haben, Zugang zum Arbeits- und Wohnungsmarkt zu finden. Erschwerte und verweigerte Zugänge sind nämlich die Definition von struktureller Diskriminierung. Da sollte sich Herr Frank ein bisschen besser informieren. Stellen Sie sich die richtigen Fragen, um einen Paradigmenwechsel vornehmen zu können. Bekämpfen Sie die Ursachen und nicht die Menschen, die durch institutionelle Ausgrenzung in die Perspektivlosigkeit getrieben worden sind. Seien Sie doch bitte bereit für einen Paradigmenwechsel. Erkennen Sie doch bitte, dass Sinti und Roma tatsächlich institutionelle Diskriminierung erfahren. Versuchen Sie diese Formen von Diskriminierung abzubauen, indem wir Zugänge erleichtern, und bekämpfen wir genau das, nämlich Armut und nicht die Armen.

(Beifall)

Stadtverordnetenvorsteher Stephan Siegler:

Vielen Dank, Herr Dr. Schmitt! Die nächste Wortmeldung kommt von Frau Hahn. Bitte!

Stadtverordnete Pearl Hahn, LINKE.:

Herr Dr. Schmitt, ich werde diese Frage immer wieder ansprechen. Anscheinend haben wir institutionelle Diskriminierung und Rassismus nicht verstanden. Anscheinend ist das doch die Tatsache. Was ist institutionelle Diskriminierung? Spätestens seit der Ausbreitung von Imperialismus ist diese Tatsache universell und allgegenwärtig überall auf der Welt, und so sagt es die Wissenschaft. Das heißt, es gibt keine Institution auf der Welt, die befreit ist von Diskriminierung, von Sexismus, von Rassismus und alle weiteren Formen der Diskriminierung. Das ist Tatsache. Zu verleugnen, dass zum Beispiel Sexismus nur in manchen Teilen der Gesellschaft vorhanden ist und in anderen Teilen nicht oder dass Rassismus nur in manchen Teilen der Gesellschaft vorhanden ist und in anderen nicht, ist vollkommen falsch. Da müssen Sie sich nur ein bisschen besser informieren, was wir überhaupt meinen, wenn wir über institutionelle Diskriminierung sprechen. Jede Person, die meint, dass sie befreit ist von Rassismus oder Sexismus oder weiterer Form von Diskriminierung, ist eine Person, die einfach der Tatsache nicht in das Gesicht schauen mag. Weil keine einzige Person auf der Welt frei davon ist. Als Alliierte zu gelten, muss man doch erst einmal sagen, ja, ich habe Bilder vermittelt bekommen, die nicht ganz in Ordnung sind. Ja, ich habe sexistische Bilder vermittelt bekommen, die nicht vollkommen in Ordnung sind. Ja, ich habe rassistische Bilder vermittelt bekommen, die nicht vollkommen in Ordnung sind. Ich kann nichts dagegen tun, außer von jetzt an meine Handlungen zu ändern. Das ist genau das, was ich mir wünsche, dass wir endlich einmal verstehen, worum es geht. Es geht nicht darum, einzelne Personen als böse zu erklären, weil es eine institutionelle Problematik ist. Das heißt, es geht nicht darum, Individuen anzugreifen, sondern darum, tatsächlich das Problem zu beheben. Wir können es nicht beheben, indem wir sagen, die Polizei ist fern von rassistischen Strukturen, die Stadtverordnetenversammlung ist fern von rassistischen Strukturen. So ist es nämlich nicht.

(Beifall)

Hier können Sie die Rede als PDF-Datei herunterladen.

 

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