Haben sie etwas von der sozialen Realität in dieser Stadt begriffen?

23. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am 26. April 2018

Tagesordnungspunkt 7: Haushalt 2018 – Aussprache und Verabschiedung

Stellvertretender Stadtverordnetenvorsteher

Ulrich Baier:

Als Nächster bitte Herr Stadtverordneter Müller von den LINKEN. Bitte!

Stadtverordneter Michael Müller, LINKE.:

Herr Vorsteher,

meine sehr geehrten Damen und Herren!

Bevor ich zum Haushalt komme, möchte ich kurz noch etwas zur AfD sagen. Herr Dr. Dr. Rahn ist jetzt nicht da, aber er hat die Haushaltsdebatte wieder einmal genutzt, um die ausgrenzende, fast schon rassistische Ideologie der AfD anheimzustellen, indem er nämlich gefragt hat, was ein Schutzsuchender kostet. Ich würde mir wünschen, liebe AfD, Sie würden sich einmal fragen, was ein deutscher Panzer kostet, der nach Syrien exportiert wird, was eine deutsche Haubitze kostet, die letztlich die Ursache dafür ist, dass Menschen fliehen.

(Beifall)

Bitte hören Sie also auf, die Haushaltsdebatte für Ihre ausgrenzende Rhetorik zu missbrauchen, das funktioniert nicht. Genauso schlecht ist es, wenn Sie sagen, wir müssen die Integration evaluieren. Nein, die Integration muss nicht evaluiert werden, Integration ist die vordringliche Aufgabe unserer Stadt, und Frankfurt schafft es, leistet es und das können auch Sie nicht verhindern.

(Beifall)

Jetzt möchte ich mich aber auf den Haushalt beziehen. Es ist schon recht – manche Vorrednerinnen und Vorredner habe es gesagt -, wenn man sich den Titel dieses jüngsten Etatantrag anschaut, da steht: Wachstum gestalten, konsolidieren und Frankfurt fit für eine nachhaltige Zukunft machen. Dann geht es los, fast schon wie in einer Präambel finden sich recht blumige Worte für das, was Sie eigentlich machen wollen. Was aber dann kommt, ist nichts anderes als eine unsoziale, unsolidarische Haushaltskürzung, denn Sie reagieren auf das Wachstum der Stadt, Sie reagieren darauf, dass wir bald 750.000 Mitbürgerinnen und Mitbürger haben, mit genau der falschen Antwort. Es ist doch grundfalsch, dass Sie die Menschen in einer wachsenden Stadt damit konfrontieren, dass wir jetzt die Ausgaben kürzen müssen. Das ist doch grotesk.

Das Gegenteil wäre eher sinnvoll und vorausschauend für die Zukunft, Sie sollten Investitionen tätigen, weil die Stadt dringend Investitionen braucht. Dass Menschen hierher ziehen, ist doch auch Ausdruck dafür, dass die Stadt attraktiv ist, und eine Attraktivität führt dazu, dass wir mehr Ausgaben haben werden. Von daher wäre es sinnvoll und im Interesse der Menschen, dass Sie investieren, statt die schwarze Null zu predigen, was die FDP – jetzt verwechsele ich Sie fast schon, das tut mir jetzt aber nur ein bisschen leid -, allerdings gerne will. Sie wollen eine Konsolidierung. Das ist allerdings so, da fehlt aber die soziale Dimension und das haben die Vorrednerinnen und Vorredner auch schon gesagt. Es ist doch merkwürdig, dass die Handschrift dieses Haushaltskonsolidierungspaketes natürlich die der CDU trägt. Die können sich zurücklehnen, Herr zu Löwenstein, das tun Sie, Ihre Kolleginnen und Kollegen auch, weil Sie sich hier durchgesetzt haben. Wo bleibt denn bitte schön die SPD, die gesagt hat, Kürzungen in Höhe von 300 Millionen Euro gehen nicht, da können wir den Laden dichtmachen. Sie sind letztlich, Sie mussten einknicken vor der Realität, dass sie Schwarz-Grün in dieser Koalition in die Zange genommen hat. Andere sagen, sie würden eingemauert und letztlich mussten sie etwas mittragen, was auch ihrer eigenen politischen Ãœberzeugung widerspricht, meine Damen und Herren. Insgesamt stellt man das heute auch fest.

Diese Koalition freut sich nicht über dieses Haushaltssicherungskonzept. Sie arbeiten sich weiter gegeneinander an sich selbst ab. Sie zeigen keinerlei Gestaltungswillen. Sie sind nicht in der Lage, die Stadt nach vorne zu bringen.

Ich hatte, meine Damen und Herren, eine kleine Hoffnung. Sie wurde boykottiert. Sie haben es endlich geschafft als Regierungskoalition, so schwierig es ist. Wir sind keine. Es ist keine Liebesheirat. Es ist eine Vernunftehe, eine Zweckehe, was auch immer. Es ist auf jeden Fall nichts Gutes. Sie haben es aber angeblich geschafft, vom Wahlkampfmodus in einen Gestaltungsmodus zu kommen.

Schaut man sich heute die Debatte an und schaut man sich an, wie wenig Unterstützung der Oberbürgermeister bekommt, schaut man sich an, wie man sich einerseits auch an der Bildungsdezernentin abarbeitet, wie in dieser Koalition überhaupt nichts zusammenpasst, dann ist es doch Ausdruck eines Versagens dieser Koalition. Darüber kann auch ein scheinbar konsolidierter Haushalt, in dem man 100 Millionen Euro spart, das Defizit damit von 290 auf 190 Millionen Euro senkt, nicht hinwegtäuschen. Das merken auch die Menschen in dieser Stadt.

Diese Regierungskoalition kann nicht gestalten, sie wird auch nicht mehr gestalten. Sie retten sich nur noch über die Zeit. Ich glaube, es werden bleierne Zeiten für die Menschen in dieser Stadt, weil das Haushaltssicherungskonzept natürlich negative Auswirkungen hat. Ich greife nur zwei Dinge heraus. Ich habe gar nicht so viel Zeit, meine Damen und Herren. Wie kann man behaupten, wir müssen im Produktbereich 18, im Sozialetat, 23 Millionen Euro einsparen. „Wir können das auch tun“, sagen sie dann, „weil wir weniger Bedürftige haben“. Haben sie etwas von der sozialen Realität in dieser Stadt begriffen? Die Spaltung geht doch weiter auseinander.

(Beifall)

Wie können Sie denn, Frau Stadträtin Professor Birkenfeld, dann sagen: „Na ja, dann können wir 23 Millionen Euro kürzen, weil es weniger Bedürftige gibt. Die Fallzahlen gehen nach unten. Es ist sinnvoll, den Gürtel enger zu schnallen“. Gerade der Sozialetat hätte ausgebaut werden müssen und das haben wir als Opposition mit Anträgen auch versucht. Diese haben Sie leider abgelehnt, weil die soziale Realität, ob Sie es glauben wollen oder nicht, eben doch eine andere Sprache spricht als es vielleicht die Koalitionskompromissfähigkeit darlegt, die Sie immer monatlich und in den Ausschüssen transportieren.

Der zweite Punkt ist das Personal. Ich möchte daran erinnern. Was war denn Mitte März? Es gab Tarifauseinandersetzungen im öffentlichen Dienst. Es gab große Demonstrationen. Im strömenden Regen sind Tausende Menschen zum Roßmarkt gelaufen. Da habe ich wenige von Ihnen gesehen. Ein paar von uns LINKEN waren dabei. Vielleicht auch Sozialdemokraten. Die Menschen, die in dieser Stadtverwaltung arbeiten, sind auf die Straße gegangen. Allein bei Kita Frankfurt waren es über 350 Kolleginnen und Kollegen. Sie haben für bessere Arbeitsbedingungen gekämpft. Sie haben für höhere Löhne gekämpft. Sie haben dafür gekämpft, dass sie mindestens 200 Euro mehr bekommen und jetzt werden sie damit konfrontiert: Na ja, ihr müsst jetzt allerdings die Zeche zahlen, weil Sie auch auf dem Rücken der Beschäftigten die Haushaltsfinanzen konsolidieren.

Das ist das Gegenteil von sozialer Politik. Es ist auch nicht ehrlich den Gewerkschaften gegenüber, denen man doch im März gesagt hat, okay, ihr habt einen Tarifabschluss, den tragen wir auch mit, aber gleichzeitig schaffen wir keine Stellen. Gleichzeitig führt es dazu, dass die Arbeitsbelastung nicht weniger wird. Es hätte Ehrlichkeit dazu gehört, zu sagen, dass es natürlich Menschen gibt, die die Last Ihres Haushaltssicherungskonzepts tragen. Das sind unter anderem auch die Beschäftigten.

Das ist ein Armutszeugnis auch für Ihre Politik, weil Sie nämlich die Falschen in die Pflicht nehmen, und ich wiederhole mich, Herr zu Löwenstein, Sie wollen es auch nicht hören, dass natürlich die Gewerbesteuer der richtige Hebel gewesen wäre. Natürlich, die Einnahmen zu erhöhen ist immer sozialer als die Ausgaben zu kürzen. Das sollten Sie doch begreifen. Das ist sehr, sehr einfache Mathematik. Einfache Haushaltsarithmetik.

(Zurufe)

Es ist nicht zu einfach. Nein.

(Zurufe)

Herr Pürsün, ich glaube, Herr zu Löwenstein macht es sich zu einfach, indem er sagt, wenn wir die Gewerbesteuerschraube drehen, dann wandern die Firmen ab.

(Zurufe)

Ich glaube, Frankfurt.

(Zurufe)

Nein, ich glaube, Frankfurt ist viel zu attraktiv, als dass man sagen könnte, Unternehmen verlassen die Stadt, wenn der Hebesatz moderat angehoben wird.

(Zurufe)

Sie profitieren viel stärker von der Attraktivität Frankfurts, als was es ausmachen würde, wenn die moderate Erhöhung der Gewerbesteuer kommt.

Von daher ist es doch falsch zu sagen, der einzige Standortvorteil Frankfurts ist die Gewerbesteuer. Das ist nicht richtig. Der Vorteil Frankfurts ist eine gute Infrastruktur.

(Beifall)

Der Vorteil Frankfurts sind motivierte Beschäftigte in der Verwaltung und der Vorteil Frankfurts ist der soziale,

(Zurufe)

im Vergleich zu anderen Metropolen, der noch vorhandene soziale Zusammenhalt, den Sie allerdings auf das Spiel setzen.

(Zurufe)

Von daher würde ich sagen, Sie schreien jetzt, und wenn Sie schreien, glaube ich, dass ich Recht habe. Von daher freut es mich, dass Sie sich so echauffieren. Hätte ich nicht gedacht nach der bislang langweiligen Debatte.

(Zurufe)

Ja, wir müssen über die höheren Einnahmen reden. Sie haben es nicht geschafft, über die Einnahmen zu reden, weil Sie sich letztlich davor gescheut haben. Von daher werden wir natürlich diesen Haushalt so ablehnen, weil Sie sich nämlich nur mit den Ausgaben beschäftigen, weil Sie aber auch nicht erkennen, dass eine wachsende Stadt Investitionen in die Zukunft braucht. Investitionen in die Zukunft gehen nun einmal nur über Ausgaben. Was Sie machen, wird Frankfurt und den Menschen in dieser Stadt nicht guttun. Von daher ist es eine falsche Entwicklung. Wir hoffen, irgendwann werden Sie erkennen, dass die Einnahmesituation der einzige Hebel für sozial gerechte Haushaltspolitik ist.

Danke schön!

(Beifall)

Hier können Sie die Rede als PDF-Datei herunterladen.

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