Das entscheidende Bürgerrecht ist die soziale Sicherheit

28. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am 8. November 2018

Tagesordnungspunkt 6: Einbringung des Etats 2019. Stellungnahmen der Fraktionen

Stadtverordnetenvorsteher

Stephan Siegler:

Jetzt habe ich hier noch eine Wortmeldung von Herrn Müller von der LINKE.-Fraktion. Sie haben das Wort. Bitte schön!

Stadtverordneter Michael Müller, LINKE.:

Herr Vorsteher,

meine sehr geehrten Damen und Herren!

Es freut mich, dass jetzt alle wieder nach der lauten Rede von Herrn Zieran wach sind. Ich habe mir mit Blick auf den Haushalt zu Beginn einmal den konsolidierten Gesamtabschluss des Jahres 2017 angeschaut. Bezüglich der zukünftigen Entwicklung formuliert die Stadt ihre Ziele und ihre Strategien. Es wird genannt, dass man die Kernleistung der Daseinsvorsorge schützen will, von sozialer Stabilität wird gesprochen. Es wird davon gesprochen, das Umweltbewusstsein zu fördern, dass wir eine soziale Stadt sind und eine familienfreundliche Stadt sein sollen. So weit, so gut.

Flankiert wird das Ganze in den Ausführungen des konsolidierten Gesamtabschlusses von einer, wie ich finde, treffenden wie richtigen, weil sachlichen Einschätzung der Rahmenbedingungen. Die sind nämlich gar nicht so schlecht. Wir haben in Deutschland ein stabiles Wirtschaftswachstum und historisch niedrige Zinsen. Wir haben das achte Jahr in Folge einen Wirtschaftsaufschwung, wir befinden uns vielleicht im letzten Zyklus einer Hochkonjunkturphase und wir haben hohe Steuereinnahmen.

Das, meine Damen und Herren, ist jetzt nicht die Erfindung eines Linken, der vielleicht utopisch denkt, sondern wird so vom Kämmerer formuliert, weil es tatsächlich die Rahmenbedingungen in diesem Land sind.

(Zurufe)

Ja, Herr Kämmerer, ich komme gleich zu Ihnen, gedulden Sie sich ein bisschen. In Ihrer blumigen Einbringung des Haushaltes hat mir gefallen, dass Sie vom Fundament gesprochen haben, das vorhanden ist, von der Zukunft, die gestaltet werden soll, und von der wachsenden Stadt. Ich könnte sagen, ja, Sie haben recht, die Rahmenbedingungen sind auch toll, und eigentlich sind die Strategien und die Ziele, die formuliert sind, Common Sense. Jeder, vielleicht bis auf die AfD, findet sich da wieder.

Wenn man dann Ihrer Rede gefolgt ist, und ich habe das gemacht, dann haben Sie von Weichenstellungen gesprochen, auf die ich später in meiner Rede auch noch kommen werde, ob es denn tatsächlich Weichenstellungen waren, die Sie vorgenommen haben. Was ich bei Ihrer Rede aber ganz entscheidend fand, war doch die Passage, als Sie vom Bürgerrecht gesprochen haben. Der Kollege zu Löwenstein hat es flankierend auch gemacht. Es ist richtig, wenn Sie Rechte der Bürgerinnen und Bürger thematisieren, nur leider war Ihr Blick auf den Bereich der Sicherheit verengt und das ist das Grundproblem.

(Beifall)

Das entscheidende Bürgerrecht ist die soziale Sicherheit, meine Damen und Herren.

(Beifall)

Wenn Sie das auf die Sicherheit, die eben nicht soziale Sicherheit für alle bedeutet, reduzieren, dann zeigt es, dass Sie eben die falschen Prioritäten setzen. Und weil Sie die Prioritäten falsch setzen, können Sie auch die Weichen gar nicht richtig stellen, von daher ist das schon offenkundig gewesen. Was sich Ihrer Einbringung angeschlossen hat, waren drei mutlose Reden der Koalitionsparteien, die jede Zuhörerin, jeden Zuhörer und mich darin bestätigt haben, dass hier drei Partner versuchen, sich irgendwie noch über die Ziellinie zu schleppen.

Jetzt könnte ich sagen, das ist gar nicht so schlimm, wenn es nicht so traurig wäre und wenn nicht noch zwei harte Jahre vor uns und den Menschen in dieser Stadt liegen würden. Um die geht es doch aber, meine Damen und Herren. Es geht nicht um mich und um meine Befindlichkeit oder um die Befindlichkeit meiner Fraktion, es geht um die Menschen in dieser Stadt, die darunter leiden. Die Redebeiträge waren doch heute wieder ein Beispiel dafür, wie sie sich gegenseitig, naja, man muss ja fast schon sagen, angegangen sind. Wie man offenkundig gemerkt hat, regiert hier keine Koalition des Willens. Das ist doch ein mutloses Zusammensein und eigentlich will man gar nicht mehr, man kann aber nicht anders. Und das ist die Konsequenz dann heute in den Debatten ja gewesen.

Sie haben es höchstens geschafft, Ihre eigenen Dezernenten zu loben.

(Zurufe)

Die großen Linien blieben Sie schuldig.

(Heiterkeit, Zurufe)

Es wäre schön, Herr Oesterling, vielleicht erleben Sie es ja noch in naher Zukunft. Wir können alle nur hoffen, dass diese Liaison nach der nächsten Kommunalwahl endlich abgewählt wird. Das ist doch jetzt die Aufgabe.

(Beifall)

Ein „Weiter so“ können Sie doch den Menschen in Frankfurt nicht länger zumuten und, Herr Oesterling, ich sehe es Ihnen ja an, Sie hätten es auch gern anders, vielleicht kommt es in zweieinhalb Jahren so, warten wir es einmal ab.

Wenn man dann aber auch schaut, was Sie denn die letzten zweieinhalb Jahre geschafft haben, dann wird man feststellen, Sie haben Kompromisse finden müssen. Das wird mir immer in den Ausschüssen erzählt. Was bedeuten die Kompromisse denn im Kern? Im Kern sehen die Kompromisse so aus, dass Sie sich auf mehr Sitzbänke im öffentlichen Raum und auf ein Fahrradleasing geeinigt haben. Die Frankfurter Brücken müssen mit Namensschildern ausgestattet werden und es soll Spielregeln für Leihfahrräder geben.

Meine Damen und Herren, wenn Sie sich wenigstens mal über Spielregeln für Investoren irgendwie geeinigt hätten, wäre es doch besser. Aber nein, dazu sind Sie nicht in der Lage. Von daher ist dieser Minimalkonsens Ausdruck des politischen Versagens, das Sie natürlich erreicht haben, weil Sie gar nicht zusammenpassen. Das wird deutlicher denn je, je länger man Ihnen beim Nichtregieren zuschaut, meine Damen und Herren.

Sie beherrschen am besten das Ausblenden der sozialen Lebenslagen. Das würde Ihren Koalitionsfrieden gefährden. Von daher versucht man, sich, wie Herr Becker es ausgedrückt hat, mit einem Fundament, mit blumigen Worten und mit Weichenstellungen, die aber nichts nützen, zu retten.

Ich will ein konkretes Beispiel bringen, bei dem dieses Vorgehen ein Problem darstellt, nämlich beim Wohnungsbau, der drängenden sozialen Frage, über die Sie alle ziemlich wenig gesprochen haben. Es ist auch ein großes Problem bei den Milieuschutzsatzungen offenkundig geworden. Es ist doch deutlich geworden, dass hier zwei Partner in falsche Richtungen rennen. Der Planungsdezernent empfiehlt, hier das Vorkaufsrecht zu nutzen, der Baudezernent Schneider, der leider wieder nicht da ist, sagt aber, dass er es nicht mache, es juristisch heikel sei. Er traut sich nicht, also passiert nichts.

Die Bürgerinnen und Bürger lesen in der Zeitung, dass die Stadt den Investoren den Vorrang lässt. Naja, wenn das dann das Ergebnis Ihres Handelns ist, dann ist es beschämend und nicht dazu dienlich, die soziale Spaltung zu stoppen. Das ist doch leider Gottes das drastische Urteil. Liebe SPD, jetzt gucken Sie bedröppelt, aber so ist es leider. Das ist schade. Da müsste man endlich umsteuern. Wenn man dann den Herrn Schneider fragt, warum er es denn nicht kann, dann versteckt er sich hinter juristischen Feinheiten. Anstatt einmal zu sagen, dass er den Konflikt mit den Investoren sucht. Aber er sucht ihn gar nicht, weil er sich im Kern eigentlich nicht des Problems bewusst ist.

(Beifall)

Ich werfe ihm das ja nicht vor. Er kann es nicht anders. Als es um das Tibethaus in Bockenheim ging, hat er mir vor zwei Jahren im Haupt- und Finanzausschuss einmal recht offenherzig gesagt, er wolle es sich nicht mit den Investoren verscherzen. Das war ein ehrlicher Moment, in dem ich gemerkt habe, okay, so tickt der Kollege. Dann darf man sich aber auch nicht wundern, wenn leider Gottes auf dem Wohnungsmarkt zu wenig passiert. Wenn wir nicht dagegenhalten, wird es so weiterlaufen. Und wenn es so weiterläuft wie bisher, dann nimmt die soziale Spaltung leider zu und dann haben wir mit einer sozialen Verwerfung zu rechnen, die uns allen nicht lieb sein kann.

Ich komme aber jetzt noch zu einem zweiten Punkt, nämlich dem Personal. Darauf haben Sie sich bislang auch sehr wenig bezogen. Ich habe mir die Stellungnahme des Personalrates zu eigen gemacht, die wir alle zugesandt bekommen haben. Es lohnt sich, da einmal reinzublicken, weil es tatsächlich ein bisschen ein Weckruf der Kolleginnen und Kollegen in der Stadtverwaltung ist, dass endlich etwas gemacht werden muss, weil sie auch erkennen, dass wir in einer wachsenden Stadt leben. Ich glaube, dass die Damen und Herren in der Verwaltung tagtäglich letztlich das zu stemmen haben, damit wir die wachsende Stadt überhaupt so gehändelt bekommen. Das ist ihre Aufgabe und ihr Verdienst. Der Personalrat schreibt über die Herausforderungen der wachsenden Stadt mit einem Bevölkerungswachstum, der von der Koalition zumindest richtig anerkannt wurde, und über einen seit Jahren vorhandenen Investitionsstau. Investitionsstau plus Bevölkerungswachstum sind eine denkbar schlechte Kombi. Ausbaden müssen es die Beschäftigten der Stadt. Und das haben sie in dem Brief geschrieben. Sie bräuchten mehr Stellen und Entlastungen. Das ist jetzt leider alles nicht vorgesehen, doof. Außerdem wünschen sich die Beschäftigten, dass man einmal eine gesamtstädtische Ãœbersicht über die Auswirkungen des Wachstums anfertigt – passiert auch nicht.

Sie sagen, die Digitalisierung steht vor der Tür. Der Gesamtpersonalrat wünscht sich auch mal, dass etwas passiert. Im Kultur- und Freizeitausschuss haben sogar die Mitarbeiter der Museen gesagt, dass die Digitalisierung eine riesige Herausforderung darstellt. Wenn wir da nicht hinten anstehen wollen, bräuchten wir mehr Personal, eben Leute, die das machen. Es gibt viele, viele Aufgaben, denen Sie eigentlich gerecht werden müssten. Leider bleiben Sie hier untätig, aber ich hoffe, dass wir Sie als Opposition jetzt mit den Etatanträgen auch dazu bewegen, sich zumindest einmal ein bisschen zu trauen. Wenn Sie den Konflikt schon nicht mit den Investoren suchen, dann vielleicht stärker in der Koalition, um irgendwie wirkliche Weichenstellungen vornehmen zu können. Sie sind hier zum Minimalkompromiss verdammt. Das noch zwei Jahre zu erdulden, ist sehr, sehr bitter.

Ein letzter Punkt: Ich weiß nicht, ob Herr Schenk noch da ist. Ich fand es unerträglich, dass er von sozialer Sicherheit geredet hat. Gerade er, der für die AfD Direktkandidat war, eben für eine Partei, die die soziale Sicherheit jeden Tag gefährdet.

(Zurufe, Beifall)

Wenn Sie von sozialer Sicherheit noch einmal reden, dann erinnere ich Sie immer an das Programm der AfD, …

(Zurufe)

… die nämlich den sozialen Wohnungsbau abschaffen will. Herr Reschke, seien Sie bitte ruhig. Oder hören Sie mir bitte zu, das ist vielleicht besser. Dann sage ich Ihnen noch etwas. Dass Sie den sozialen Wohnungsbau abschaffen wollen, ist ein sozialpolitischer Skandal und zeigt letztlich, wie wenig Ihnen eigentlich die Menschen wert sind. Es geht auch darum, dass die soziale Sicherheit durch Sie und Ihre Partei täglich gefährdet wird. Sie treiben den Spalt in die Gesellschaft.

(Beifall)

Herr Schenk, Sie können den Kopf schütteln, wie Sie wollen, wenn Sie sich mit dieser Partei gemeinmachen und Direktkandidat der AfD werden, sollten Sie bitte schön das Programm lesen und dann nicht mehr von sozialer Sicherheit reden oder gar von Verantwortung. Das fand ich von Ihnen jetzt ziemlich schäbig. Ich will Herrn Dr. Rahn abschließend noch etwas sagen. Er ist leider weg. Er hat von der Zukunft gesprochen. Er ist in den Landtag gewechselt. Wenn man einmal beobachtet, wie er sich bei den TV-Debatten verhalten hat, kann man sich eben nur wünschen, dass er im Landtag deutlich vorbereiteter sein wird, weil er die ganze Zeit von der Zukunft gesprochen hat, die seine Partei hätte, alle anderen jedoch nicht. Ich kann mir nur wünschen, und ich werde mich gemeinsam mit vielen Frankfurterinnen und Frankfurtern anstrengen, dass Sie als Partei keine Zukunft haben.

(Beifall)

Und ich sage Ihnen noch eins: Es ist auch unsere Verantwortung gegenüber allen Menschen in Frankfurt, dass wir uns dafür einsetzen, dass Sie auf demokratischem Weg keine Zukunft haben.

Vielen Dank!

(Beifall)

Hier können Sie die Rede als PDF-Datei herunterladen.

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