38. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am 12. Dezember 2019
Tagesordnungspunkt 5: Aufklärung und Transparenz unterstützen
Stadtverordnetenvorsteher Stephan Siegler:
Vielen Dank, Herr Wehnemann! Die nächste Wortmeldung kommt von Frau Pauli von der LINKEN. Bitte!
Stadtverordnete Dominike Pauli, LINKE.:
Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher,
sehr geehrte Damen und Herren!
Bevor ich mit meiner eigentlichen Rede anfange, würde ich gerne auf ein paar Punkte eingehen, die ich jetzt vernommen habe und die mir einfach keine Ruhe lassen.
Herr Popp, Sie haben von einer in Bezug auf den Oberbürgermeister arroganten, abgehobenen Politikerkaste gesprochen. Damit haben wir in Frankfurt schon öfter Probleme gehabt. Ich erinnere Sie einmal an eine Oberbürgermeisterin, die Fluglärmgeplagten empfohlen hat, wegzuziehen. Sie hätten das demokratische Recht dazu. Also wenn das nicht arrogant und abgehoben war, dann weiß ich nicht was. Also wenn dem so sei, überhaupt nichts Neues. Ich wollte, Herr Popp, Sie hätten diese brachiale Rhetorik von heute auch damals, als Frau Roth in Sachen Flughafenausbau aktiv war, dieser Oberbürgermeisterin genauso entgegengebracht; haben Sie aber nicht.
Aber auch der CDU möchte ich gerne etwas mitgeben. Und zwar konnten Sie in der FAZ vom Sonntag Folgendes lesen: „Ob sich ein Bühnenautor ein derart verworrenes Stück über Freundschaft, Intrigen, Vetternwirtschaft, machthungrige Strippenzieher, Geldtöpfe, Hinterzimmer, Rivalität und Rache hätte ausdenken können, sei einmal dahingestellt.“ Was glauben Sie nun, meine Damen und Herren, welche Wiesbadener Organisation hier gemeint ist oder welche Wiesbadener Menschen? Ich habe es auch erst gedacht, aber nein, es ist nicht die AWO, es beschäftigt sich mit einem Skandal in Wiesbaden, in dem ein hochrangiger CDU‑Politiker involviert ist. Also auch da hat niemand ein Alleinstellungsmerkmal, was solche Skandale anbelangt. Damit wird übrigens in Wiesbaden ein Theaterstück beworben.
Das vorneweg. Ich werde mich jetzt in meiner Rede nicht weiter mit der Rolle des Oberbürgermeisters beschäftigen, denn DIE LINKE bleibt dabei: solange nicht belastbare Beweise für irgendetwas auf dem Tisch vorliegen, werden wir uns nicht an Vorverurteilungen, Geraune und Gerüchten beteiligen, …
(Beifall)
… auch wenn wir uns, das soll Ihnen gesagt sein, Herr Feldmann, ein anderes Kommunikationsverhalten gewünscht hätten, was auch dringend notwendig gewesen wäre. Ich beschäftige mich heute hier mit der Causa AWO. Einmal ein paar grundsätzliche Sachen: Die AWO ist einer von sechs Spitzenverbänden in der freien Wohlfahrtspflege. Diese Spitzenverbände haben im sozialen Bereich von der Kita, über die Seniorenheime, bis hin zur Pflege viele Aufgaben übernommen, die primär Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge sind, also eigentlich in die Erledigung durch die öffentliche Hand gehören. In den letzten Jahren hat sich der Staat, oder wie in unserem Fall die Stadt, immer mehr von diesen sozialen Aufgaben zurückgezogen und sie an Private, besonders eben auch an diese Spitzenverbände, outgesourct und damit den sozialen Bereich immer mehr neoliberalen Strukturen und Normen unterworfen. So sind, davon rede ich jetzt, viele Strukturen entstanden, die das ermöglichen und begünstigen, was nun der AWO vorgeworfen wird. Strukturen, die alles unter die Maxime stellen, dass es der Wirtschaft gut gehen muss, wenn es den Menschen gut gehen soll. Strukturen, die an Gewinnmaximierung interessiert sind, aber nicht an menschlichen Bedürfnissen, und die auch soziale Verbände und gemeinnützige Einrichtungen dazu bringen, den wirtschaftlichen Aspekt ihrer Arbeit immer stärker zu betrachten. Aber wenn der wirtschaftliche Erfolg, wie bei jeder normalen privaten Firma, das Wichtigste in diesem sozialen Bereich ist, dann ist das ein falscher Ansatz. Es ist bestürzend, dass in der Führungsebene der AWO scheinbar die klassischen neoliberalen Werte und prestigeträchtigen Symbole wichtig sind. Hochmotorisierte Boliden, teure Reisen, Bonuszahlungen, Spitzengehälter und Privatdetektive sind eigentlich Begriffe, die wir in anderem Zusammenhang oft gehört haben und die wir nicht hören wollen in Bezug auf die Arbeiterwohlfahrt.
(Beifall)
Das passt nicht zu dem, wofür die Arbeiterwohlfahrt auch historisch steht. Auch ich zitiere die Gründerin Marie Juchacz, die nämlich gesagt hat, dass die Arbeiterwohlfahrt für die Idee der Selbsthilfe, der Kameradschaftlichkeit und Solidarität, aber auch für die Idee der Wohlfahrtspflege vom Staat und seinen Organen betrieben werden muss. Wir LINKE erwarten, dass die gravierenden Vorwürfe geprüft, Fehlverhalten oder Schlimmeres aufgedeckt und Konsequenzen gezogen werden. Das können aber nicht die Funktionäre in der AWO oder in der Politik machen, die schon die ganze Zeit dabei sind. Damit richte ich mich an Sie, meine Damen und Herren von der SPD: Die AWO gehört Ihnen nicht. Darüber sollten Sie einmal nachdenken.
(Beifall)
Der Schaden, der angerichtet wurde, ist immens. Aber bei den öffentlichen Erklärungen der Verantwortlichen der AWO verstärkt sich das Gefühl, dass Sie das immer noch nicht verstanden haben. Ihr Verhalten steht im Widerspruch zu allen Grundwerten der Arbeiterbewegung. Einzelne Rücktritte reichen da nicht aus, die Strukturen müssen geändert werden. Die Kontrolle der Hauptamtlichen durch die Ehrenamtlichen muss sichergestellt werden. Selbstverständlich müssen auch alle Gehälter und Beraterverträge offengelegt werden. Wenn Stellen durch öffentliche Mittel mitfinanziert werden, haben wir ein Recht zu erfahren, wie die Steuergelder verwendet werden. Sich dabei hinter dem Datenschutz zu verstecken, ist eine billige Ausrede. Es gibt mittlerweile die Bereitschaft von Menschen, außerhalb der AWO und außerhalb der SPD konstruktiv daran mitzuarbeiten. Das, meine Damen und Herren von der SPD, sollten Sie nicht als Drohung, sondern als Angebot ansehen.
Jetzt komme ich zum Schluss, und ich halte es relativ kurz. Ich würde gerne noch auf das eingehen, was Herr Pürsün gesagt hat. Herr Pürsün, ich glaube, was Sie sich nicht ganz klarmachen ist, wer eigentlich die AWO ist. Die AWO ist nicht die Führungsschicht. Die AWO sind nicht die teuer bezahlten Funktionäre und die AWO sind nicht die SPD-Spitzenkicker, die da tätig sind, die AWO, das sind die kleinen Leute vor Ort, die AWO, das sind die unzähligen Ehrenamtlichen und Beschäftigten in den Stadtteilen, in den Projekten und Einrichtungen, die dort gute Arbeit leisten, die mit ihrem Einsatz die Werte Solidarität und Selbsthilfe jeden Tag aufs Neue durch ihr Engagement belegen, und die klare Verhältnisse brauchen, und für die es wichtig ist, dass die filzigen Strukturen geändert werden.
Anstatt jetzt hier dieses Koalitions-Bashing zu betreiben, sollten wir uns vielleicht gemeinsam überlegen, wie wir das in Zukunft anders machen, und ich fordere nicht nur meine Leute auf. Wir haben das schon gemacht. Ich selbst habe einen Mitgliedsantrag bei der AWO gestellt. Vielleicht wäre es ja sinnvoll, wenn man in diese Organisation reingeht und versucht, da mitzuarbeiten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
(Beifall)
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