30. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am 31. Januar 2019
Tagesordnungspunkt 9: Strukturwandel bei Umgang mit Extremismus in Frankfurter Behörden
Stadtverordnetenvorsteher
Stephan Siegler:
Ich habe jetzt noch zwei Wortmeldungen von der LINKEN vorliegen. DIE LINKE hat von der FRAKTION drei Minuten Redezeit und von den FRANKFURTERN fünf Minuten Redezeit übertragen bekommen. Damit bleiben der LINKEN noch sieben Minuten und 40 Sekunden Restredezeit. Die nächste Wortmeldung kommt von Frau Hahn von der LINKEN Bitte!
Stadtverordnete Pearl Hahn, LINKE.:
Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher!
Eigentlich wollte ich nicht noch einmal sprechen. Aber, nachdem ich die Kommentare von Herrn Dr. Schulz und Herrn Dr. Schmitt gehört habe, bin ich einfach nur unglaublich enttäuscht, wo wir hier gerade sind. Wir haben Sachen gehört, die einfach nicht in Ordnung sind.
Erst einmal möchte ich damit anfangen, zu sagen, dass das, was in dieser Stadt geschieht, uns betreffen sollte. Es liegt in unserer Zuständigkeit und nicht, wie Herr Dr. Schulz es sagt, dass das die anderen sind und die anderen das regeln. Man muss immer vorsichtig sein, wenn man Aufgaben wegschiebt. Das heißt, Sachen, die in dieser Stadt geschehen, sollten wir thematisieren, wir sollten sie ansprechen und sagen, wo wir Lösungen finden können.
(Beifall)
Jetzt möchte ich gerne über Chancengleichheit sprechen, weil der Begriff struktureller Rassismus oder Diskriminierung oder institutionelle Diskriminierung oder strukturelle Diskriminierung sehr negativ dargestellt wurde, als gäbe es das Problem hier in Frankfurt nicht. Ich habe schon einmal im Ausschuss für Recht, Verwaltung und Sicherheit versucht zu erklären, was die Wissenschaft damit meint.
Ich nehme mir jetzt noch einmal die Zeit, um das nochmals zu erklären. Wo immer Chancengleichheit beziehungsweise Chancenungleichheit geschieht, passiert das auf einer strukturellen Ebene. Zum Beispiel die Tatsache, dass Frauen 20 Prozent weniger verdienen als Männer, oftmals eine kleinere Rente bekommen und nicht so oft in Führungspositionen gelangen wie Männer, ist ein strukturelles Problem. Die Wissenschaft nennt es struktureller Sexismus oder institutioneller Sexismus. Wenn wir jetzt zum Beispiel über die Tatsache sprechen, dass Menschen, die Teil der LSBTTIQ-Gruppe sind, Probleme haben, sich bei der Arbeit zu outen, bis vor Kurzem nicht heiraten durften, keine positive Repräsentanz in den Medien finden, Mobbing in der Schule erfahren und das Wort „schwul“ als Schimpfwort genutzt wird, dann reden wir über ein strukturelles Problem.
Diese Struktur findet sich überall in der Gesellschaft und es nennt sich strukturelle Homofeindlichkeit, man kann es auch gern institutionell nennen. Wenn wir über Menschen mit Behinderungen sprechen und feststellen, dass in dieser Stadt, in Deutschland und auf der ganzen Welt nicht alles barrierefrei ist, dann ist es ein strukturelles Problem. Es ist ein Problem, das sich in allen Strukturen und in allen Gesellschaftsschichten widerspiegelt. Wenn wir darüber sprechen, dass Menschen mit Migrationshintergrund oftmals keine Abiturempfehlung bei gleichen Noten bekommen, wenn wir darüber reden, dass es schwierig ist für Menschen mit Migrationshintergrund, in Führungspositionen zu kommen, dass sie bei der Wohnungssuche Probleme haben, dass der Anteil auch hier im Parlament nicht dem entspricht, ist das ein Problem, das in der Gesellschaft vorhanden ist.
Wir haben nämlich in Frankfurt über 50 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund und hier im Raum sind nicht einmal ungefähr 50 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund vorhanden. Das ist dann ein strukturelles Problem. Diese Strukturen sind allgegenwärtig und universell. Die finden sich überall. Es fängt in unseren Köpfen an, aber zu sagen, dass es Einzelhandlungen sind, dass jeder alleine für die eigenen Handlungen verantwortlich ist, wird dem Problem nicht gerecht, weil die eigenen Ideen sich natürlich auch in den Strukturen widerspiegeln, in denen wir leben, wo wir arbeiten und in der Schule oder Universität, die wir besuchen.
Deswegen hat die Wissenschaft gesagt, wir müssen es strukturell nennen, weil wir erkennen, dass die Lösung auch nur auf einer strukturellen Ebene geschehen kann. Das Problem ist strukturell. Wenn wir sagen, dass das Problem auch auf einer strukturellen Ebene durch Institutionen gelöst werden muss, dann haben wir einen Mechanismus, mit dem wir agieren können. Wenn wir sagen, es geht nur um Einzelhandlungen, was können wir denn hier im Parlament nutzen, um mehr Chancengleichheit hinzubekommen? Deswegen hat die Wissenschaft gesagt, wir nennen es strukturelle Diskriminierung, die sich in allen Gesellschaftsschichten inklusive allen Institutionen widerspiegelt, das heißt, auch in die Polizei hinein.
Wir können nicht sagen, wir haben alle durch unsere Sozialisation Sexismus und Rassismus, negative Bilder über Menschen mit Migrationshintergrund, über Schwule und Lesben in den Kopf gepflanzt bekommen, um dann zu sagen, dass sobald jemand eine Uniform trägt und bei der Polizei arbeitet, dieses Problem einfach nicht mehr existiert. Es ist dennoch ein strukturelles Problem und die Lösungen müssen strukturell angeboten werden. Das heißt, wir müssen schauen, dass die Leute in der Bildung schon irgendwie eine Bildung erfahren, durch die Chancengleichheit ermöglicht wird. Wir müssen in den Schulen anfangen, bei den Ausbildungen und in den Universitäten weitermachen. So können wir das Problem lösen.
Was mich wirklich nervt, ist, dass so eine kleine Sache, so ein kleines Wort so ein riesen Ausmaß hat und hier im Raum einfach nicht akzeptiert wird. Weswegen haben wir das AmkA, wenn es kein strukturelles Problem gibt? Weswegen haben wir diese Institution kreiert, wenn es kein strukturelles Problem ist? Diese Sache sollte klar sein. Ich hoffe, dass wir von jetzt an einfach nur diese Begriffe nutzen, wie sie genutzt werden sollen, damit wir unserer Aufgabe gerecht werden, nämlich durch dieses Gremium, diese Institution in allen anderen Institutionen in dieser Stadt Lösungen für eine gerechte Gesellschaft zu schaffen.
(Beifall)
Hier können Sie die Rede als PDF-Datei herunterladen.