Während der 30. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am 31. Januar 2019 standen ein Antrag der Fraktion Die Fraktion und ein Ergänzungsantrag der Fraktion DIE LINKE. im Römer zu den rechtsextremen Strukturen innerhalb der Frankfurter und hessischen Polizei zur Diskussion.
Im Folgenden dokumentieren wir die Rede unserer Stadtverordneten Merve Ayyildiz.
30. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am 31. Januar 2019
Tagesordnungspunkt 9: Strukturwandel bei Umgang mit Extremismus in Frankfurter Behörden
Redemanuskript – Es gilt das gesprochen Wort
Sehr geehrter Stadtverordnetenvorsteher,
Das Idealisieren von Polizeistrukturen, sie seien immer auf dem Boden des Grundgesetzes, muss aufhören. Wer kann bei Racial Profiling, rassistischen Einschüchterungsversuchen durch Morddrohungen und der Verherrlichung des Nationalsozialismus noch von Rechtmäßigkeit sprechen?
Dass polizeiliche Strukturen einen Raum zulassen, der rechtsextreme Netzwerke in mehreren hessischen Polizeipräsidien ermöglicht, macht sie zum fruchtbaren Boden für die Auslegung rassistischer Ideologien im öffentlichen Dienst und genau dort, bei den Strukturen, muss man ansetzen. Man darf nicht weiter leugnen, was abscheuliche Realität ist. Daher muss eindeutig benannt werden, was das grundlegende Problem ist, um es beheben zu können: Wir leben in einer rassistischen, sexistischen, kapitalistischen Gesellschaftsstruktur. Diese Diskriminierungskategorien greifen in jedem Lebensbereich und machen sich besonders dort bemerkbar, wo das öffentliche Leben institutionalisiert wird. Viele werden mehrfach diskriminiert, viele werden einfach diskriminiert, einige baden in Privilegien und leugnen die vorigen Lebensrealitäten, weil sie die Wahl haben wegzugucken. Betroffene haben keine Wahl. Sie sind der potentiellen Gewalt stets ausgesetzt. Wer stellt sich schützend vor diese Frankfurterinnen und Frankfurter, wenn wir hitlerverherrlichende Polizisten direkt an der Konstablerwache im Dienst haben?
Wie hat sich ihre politische Ausrichtung überhaupt im Alltagsbetrieb geäußert und wie viele gibt es noch?
Niemand möchte die Verantwortung übernehmen, wenn etwas passiert von dem man fürchtet, dass es auf einen zurückfallen könnte, wenn man keine Prinzipien hat, zu denen man steht, sondern nur auf sein eigenes Wohl und Image bedacht ist.
Ihr privilegierter Lebensstandard macht sie blind für die Belange der Menschen, die nicht den Luxus von Anerkennung, von Wertschätzung in dieser Gesellschaft so selbstverständlich erfahren wie Sie. Das erklärt auch, warum die FDP rechtsaußen der CDU sitzt und schon fast auf dem Schoß der AfD. Die rechte Hälfte dieses Saals treibt seit Monaten den öffentlichen Diskurs nach rechts, indem sie Feindbilder von Rechten und Elitären, die ja bekanntlich Hand in Hand gehen, aufnehmen und salonfähig machen wollen.
Die CDU hat in den letzten Jahren aktiv ihren Beitrag dazu geleistet, die Forderungen von Rechtsextremen umzusetzen, wie die Sammelabschiebungen nach Afghanistan und Verschärfungen des Asylrechts belegen. Gern grenzen Sie sich nach rechts ab, wenn es um Antisemitismus geht und tun so, als hätten sie aus der eigenen Familiengeschichte und deutscher Geschichte maßgeblich gelernt, wenn sie bei Gedenktagen große Reden schwingen und den Nationalsozialismus verurteilen.
Doch sie wenden ihr Gelerntes nur selektiv in der Gegenwart an, denn Rückgrat beweisen sie nicht, wenn sie gleichzeitig rechte Inhalte und Forderungen durch ihr politisches Tun erfüllen und schweigen, wenn sich in der Gesellschaft Neonazis organisieren.
Konservativ, was heißt das schon? Ein bizarrer Euphemismus, der den Zusammenhalt von selbsternannten Eliten, Spießbürgertum und der sogenannten Tradition beschreibt, die regelrecht durchsetzt ist von rassistischen Menschen-, Welt- und Feindbildern.
Wir befinden uns in einem Zustand gesellschaftlicher Verunsicherung durch Eigentumsverhältnisse im Kontext eines ansteigenden Rechtsrucks, den sie wortwörtlich befeuern.
Bei einer Anschlagserie auf linke Zentren, auf linke Wohnprojekte werden diese weiterhin von Ihnen kriminalisiert, statt dass sie ihr Recht auf Schutz und Unversehrtheit als Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt verteidigen.
Die Polizei sah auch hierbei keine Zusammenhänge trotz Hinweise der Betroffenen und einer bestimmten Person, die sowohl bei den Autonomen, als auch bei der Polizei bekannt ist. Stattdessen wird behauptet sie würden keine Hilfe annehmen wollen, wobei doch die Polizei sich weigert zu ermitteln.
In Berlin gab es im Sommer vergangenen Jahres einen ähnlichen Fall, in dem sich der Verdacht erhärtet hat, dass Polizisten Daten aus dem System gestohlen haben und vermutlich auch selbst hinter den Drohbriefen stecken, die in diesem Fall direkt an linke Zentren gerichtet wurden.
Als gewählte Stadtverordnete entziehen sie sich ja nicht bloß, was verwerflich genug ist, ihrer politischen Verantwortung, sondern sind der Motor, der den Rechtsruck maßgeblich bewegt.
Sie schaffen ein Klima, das Rassismus toleriert und verschaffen diesem erst die Bühne, auf der Neonazis wieder offen Menschen bedrohen, einschüchtern und ermorden wollen. Sie schaffen ein Klima, in dem sie durch Toleranz gegenüber menschenfeindlichem Gedankengut die Öffentlichkeit an eine vermeintliche Normalisierung von Rassismus gewöhnen.
Sie sind mitverantwortlich für den Rechtsruck, weil sie mit ihm zusammen handeln und leugnen, was die realen Zustände sind: Neonazis in Uniform, Neonazis in Jobcentern, Neonazis in der Politik, und und und. Ich könnte die Liste noch ewig lange fortsetzen und jeder Bereich mehr zeugt von Ihrem politischen Versagen, denn die Regierung schützt permanent Rassisten, um nicht für Rassismus selbst belangt werden zu können.
Doch diese Mitschuld werden sie nicht los.
Wie wird der Schutz der Bevölkerung in dieser Schieflage gewährleistet?
Im Grundgesetz wird die Staatsgewalt dazu verpflichtet, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen. Wenn in der Polizeiausbildung der Stoff zum gesetzlichen Rahmen auswendig gelernt wird und in der beruflichen Praxis keine wesentliche Rolle mehr spielt, weil jegliche Handlungen eh nicht auf ihre Rechtmäßigkeit geprüft werden – ich mein, von wem auch?
Von den eigenen Kollegen? Dann haben wir ein grundlegendes Problem von polizeilichen Strukturen, die im Widerspruch zur demokratischen Grundordnung stehen.
Der Polizeidienst geht maßgeblich von der Beschaffenheit der Institution aus, die die Würde des Menschen der Entscheidungshoheit des Individuums in der Uniform unterwirft und somit antastbar macht.
Es muss reale Konsequenzen geben, wenn sie ihre Macht missbrauchen. Keine Polizistin und kein Polizist dürfen weiterhin eine institutionell gegebene Grauzone betreten können, in der Willkür und Machtmissbrauch strukturell zulässig sind. Der Interpretationsfreiraum des Zuständigkeitsbereiches, der Polizisten offiziell zusteht, ist die Manifestierung von Willkür. Die damit verliehene Macht des Individuums wird an keiner Stelle überwacht.
Interne Ermittlungen gewährleisten keine Transparenz der Polizeiarbeit und macht sie somit unkontrollierbar. Daher ist es notwendig, dass unabhängige Kommissionen eingerichtet werden, die sowohl Meldestelle sind, als auch die Befugnis haben gegen Polizistinnen und Polizisten zu ermitteln. Diese institutionelle Ergänzung muss Hand in Hand gehen mit einer grundlegenden Neuausrichtung der Polizeistrukturen, die demokratisch reguliert sind. Wer noch von Einzelfällen spricht, hat Deutschland die letzten Jahrzehnte verpasst.
Ihr jämmerlicher Versuch, Herr Schmitt, institutionellen Rassismus kleinzureden und stets als Einzelfall zu propagieren ist eine Beleidigung und Respektlosigkeit all denen gegenüber, die täglich durch Praxen wie Racial Profiling diskriminiert und in eine Machtlosigkeit gedrängt werden durch die Unantastbaren in Uniform, die durch die Morde des NSU an Unschuldigen Familienangehörige und Freunde verloren haben.
Es ist respektlos gegenüber geflüchteten Menschen, die tagtäglich Brandanschläge auf ihre Unterkunft oder gewaltvolle Übergriffe auf sich fürchten müssen seit sie in Deutschland sind und genau nach dem Gegenteil, nämlich Frieden und Perspektive streben.
Der jetzige Zustand lässt sich von keinem demokratischen Grundgedanken ableiten. Durch politische Inkonsequenz, Weggucken und Schweigen ihrerseits unterstützen sie bloß die Existenz rassistischer Bewegungen auf allen Ebenen.
Als Politikerinnen und Politiker tragen wir die Verantwortung dafür, dass Faschismus nie wieder sein darf. Es reicht nicht, die Stadt für ihre Weltoffenheit zu feiern und im selben Atemzug sich nicht schützend vor die Frankfurterinnen und Frankfurter zu stellen, die die Diversität dieser Stadt ausmachen.
Wer das nicht begriffen hat, disqualifiziert sich für jeden öffentlichen Dienst – auch auf politischer Ebene. Denn man kann von Rassisten nicht erwarten, dass sie sich selbst anzeigen und man kann von der Polizei nicht erwarten, dass sie gegen sich selbst ermittelt.
Es ist kein Zufall, dass Frau Basay-Yildiz zur Zielscheibe der Rechtsextremen wurde.
Der NSU Prozess, in dem sie Nebenklageanwältin war, sollte alle zu einer Haltung führen, die Verzahnungen zwischen Staat und organisiertem Naziterror nicht duldet, sondern eindeutig verbietet und unter Strafe stellt.
Durch das Sperren und Schreddern von Akten und – mit Blick auf die Grünen – durch Versuche, Untersuchungsausschüsse zu verhindern, wurde der Schutz von V-Leuten über den Opferschutz gestellt. Rechtsextreme Verbrechen werden mit staatlicher Hand geschützt durch die Mithilfe des Verfassungsschutzes und auch hierfür ist die Bundesregierung, sind ihre Parteien, mitverantwortlich. Die Nichtaufklärung der Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds war politisch gewollt.
Mit Sicherheit kann man sagen, dass der NSU ohne den Verfassungsschutz, der ganz klar seine Loyalität Nazis gegenüber bewiesen hat, statt dem Grundgesetz, nicht so milde mit den Morden an unschuldigen Menschen hätte durchkommen können. Mit Sicherheit kann man sagen, dass der NSU nicht zu dritt war und die Bundesrepublik Deutschland Blut an den Händen kleben hat.
Der Verfassungsschutz hat ganz klar seine Aufgabe verfehlt, denn er existiert nur, um zu überwachen und nicht, um mitzumachen. Wir fordern die Auflösung dieser unsäglichen Institution, die mehr den Anschein einer staatlich finanzierten Naziorganisation trägt, als ein demokratischer Arm zum Schutze von wem auch immer zu sein.
Was hat uns der NSU Prozess gelehrt?
Etwa, dass Nazis unschuldige Menschen ermorden können ohne Konsequenzen dafür zu tragen und der Staat bei der Tarnung und Relativierung der Straftaten hilft? Dass Morde an Menschen, die einen sogenannten Migrationshintergrund haben, auf „Dönermorde“ reduziert und medial entmenschlicht werden, während die Polizei mit ihrer rassistisch durchsetzten Denke die Angehörigen der Opfer jahrzehntelang schikaniert und demütigt?
Dass das Leben von Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund einen niedrigeren Stellenwert in Deutschland hat und sie wie Menschen zweiter Klasse durch die Staatsgewalt ihrer Rechte beschnitten werden? Nichts wurde aufgeklärt, daher kann es keinen Schlussstrich geben.
Um Rassismus zu bekämpfen, müssen Menschen in Machtpositionen und diejenigen, die Hass normalisieren wollen, zur Verantwortung gezogen werden, vor allem wenn sie Produkt des Staates in einer Willkür schenkenden Uniform sind.
Wir haben keine Zeit mehr Ihre Idiotie und Entwertung zu würdigen.
Brechen Sie endlich mit Ihrem rechten Kurs, mit Ihrer Scheinheiligkeit, mit Ihrer Heuchelei!
Hier können Sie die Rede als PDF-Datei herunterladen.