Im Blindflug auf der Jagd nach der schwarzen Null

31. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am 28. Februar 2019

Tagesordnungspunkt 6: Entwurf Haushalt 2019

Stellvertretender Stadtverordnetenvorsteher Ulrich Baier:

Die nächste Wortmeldung kommt von Frau Pauli, der Fraktionsvorsitzenden der LINKE.?Fraktion. Bitte schön!

Stadtverordnete Dominike Pauli, LINKE.:

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
sehr geehrte Damen und Herren!

Frau Purkhardt, ich habe mit Freude Ihrer Rede entnommen, dass Sie sich jetzt um die Alleinerziehenden in Frankfurt kümmern wollen. Im Jahre 2019 haben die GRÃœNEN diese entdeckt. Solange es eine LINKE-Fraktion in diesem Haus gibt, haben wir das in gefühlt jeder zweiten Rede aufgeführt. Wir haben über Segregationen gesprochen und Armutsrisiken benannt. Da waren die Alleinerziehenden immer dabei. Zehn Jahre später – links wirkt – fassen es die GRÃœNEN auf und wollen etwas dafür tun. Das finde ich gut. Besser spät als nie.

Was ich bisher ansonsten von der Koalition zum Haushalt gehört und gelesen habe, fand ich ziemlich dünn. Sie haben sich selbst sehr gelobt. Sie haben den Geist von Bad Nauheim beschworen und so weiter. Aber summa summarum haben Sie meiner Einschätzung nach einen Beleg für Ihre Politik der Zeitlupe und vor allem des kleinmütigen Klammerns an die Koalitionsdisziplin geliefert. Ich finde, das ist eine Zumutung, weil Sie mit Ihrem dürftigen Herumgeeiere Zeit vergeuden, wichtige Zeit, die eigentlich dafür notwendig wäre, wichtige Probleme anzugehen.

(Beifall)

Während Sie, meine Damen und Herren vor allem von der CDU, uns hier immer wieder erzählen, Sie wollen Ihren Enkeln keine Schulden hinterlassen und deshalb ausgeglichene Haushalte vorlegen, demonstrieren die jungen Leute, also auch Ihre Enkel, hoffe ich jedenfalls, draußen jeden Freitag unter dem Motto „Fridays for future“ für den Schutz der Umwelt und für eine lebenswerte Zukunft. Sie demonstrieren nicht für einen schuldenfreien Haushalt. Ich finde, darüber sollte man einmal nachdenken.

(Beifall, Zurufe)

Wie viel Verständnis diese jungen Leute, unter denen, wie ich hoffe, auch Ihre Enkel sind, wohl dafür haben, dass Sie, vor allem meine Damen und Herren von der CDU, unsere Aufforderung, einmal darüber zu berichten, auf welchen Flächen in Frankfurt glyphosathaltige Mittel oder Neonikotinoide eingesetzt werden, seit August 2018 bis heute immer wieder verschieben und noch keine Antwort geleistet haben? Ich wette, Sie hätten kein Verständnis dafür.

(Beifall)

Hier war wohl auch die CDU die Mauerbauerin und SPD und GRÃœNE nehmen das hin. Auch folgendes Beispiel hätte bei den Jugendlichen draußen wenig Anklang – wir haben es heute schon ein paar Mal besprochen, aus meiner Fraktion kam das schon, ich will das trotzdem noch einmal benennen: In der letzten Sitzung des Ausschusses für Soziales und Gesundheit waren Vertreterinnen und Vertreter der freien Träger der Kinder- und Jugendhilfe, die seit 2015 keine Anpassung für die Tarifsteigerungen bekommen haben, was praktisch eine Kürzung bedeutet. Alle haben in diesem Ausschuss dauernd betont, wie wichtig sie die Arbeit finden, wie gut sie sie finden, wie unverzichtbar sie sei und wie hoch die Wertschätzung dafür ist. Wie sieht die Wertschätzung aber aus? Die sieht so aus, dass es jetzt keine Erhöhung gibt, im Gegenteil, es gibt 250.000 Euro weniger für deren Arbeit. Die Caritas hat in einem Schreiben davor gewarnt, dass sowohl eine Kürzung der Öffnungszeiten als auch eine Reduzierung der Angebote droht und die Rahmenbedingungen von den freien Trägern nicht mehr erfüllt werden können. Anpassungen – das haben Sie mit Ihrem Etatantrag gefordert – wollen Sie erst im Jahre 2021 vornehmen. Meine Damen und Herren, so blöd ist hier wirklich niemand, dass Sie sich kurz vor den Kommunalwahlen dann dafür feiern lassen wollen, aber unter den Tisch fallen lassen, dass Sie jahrelang nichts refinanziert haben. Ehrlich gesagt, das finde ich ziemlich schäbig. So kann man einen Tariftreubeschluss auch konterkarieren und so sieht die Wertschätzung in dieser Koalition für die freien Träger aus.

(Beifall)

Herr Becker, ich habe mit großer Freude zur Kenntnis genommen, dass Sie so genau über die Tarifverträge bei den LINKEN Bescheid wissen. Das nährt meine Hoffnung, dass Sie vielleicht auch einige programmatische Sachen von uns lesen, vielleicht heimlich unter der Dusche die Internationale singen …

(Beifall, Heiterkeit)

… und das kommunistische Manifest vielleicht auch studieren. Das gibt es auch als Hörbuch. Das kann ich nur empfehlen.

Wie Sie wissen, Herr Becker, sind wir die einzige Partei in diesem Land, die stolz darauf ist, nicht von der Waffen- und vor allem nicht von der Automobilindustrie mit Spenden mitfinanziert zu werden.

(Beifall, Zurufe)

Wir müssen mit dem auskommen, was unsere Mitglieder und unsere Mandatsträger an Beiträgen zahlen. Damit müssen wir auskommen. Ver.di, eine vernünftige Gewerkschaft, hat deshalb mit uns einen Haustarifvertrag gemacht. Das ist völlig richtig. Mit dem Geld, was wir haben, haben wir im Sinne unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit der Gewerkschaft zusammen einen Tarifvertrag gemacht, übrigens an den TVöD angelehnt. Ich glaube, damit können wir alle ganz zufrieden sein.

(Beifall)

Jetzt kommt das, was wir heute auch wieder gehört haben. Es muss gespart werden, weil trotz sprudelnder Einnahmen im Moment auch immer wieder schlechte Zeiten anbrechen. Diverse Vorrednerinnen und Vorredner haben es gesagt. Das tun Sie immer. Wenn die Konjunktur gut läuft, sagen Sie, sie wird schlechter, wenn sie schlecht läuft, was schlecht genug ist, betonen Sie das auch noch. Das erzählen Sie seit Jahren. Seit Jahren ist das in Frankfurt Ihr Alibi dafür, viel zu wenig zu investieren, und zwar in Ihrem Blindflug auf der Jagd nach der schwarzen Null.

Herr zu Löwenstein, im Haupt- und Finanzausschuss am Dienstag haben Sie auf die Forderung der LINKEN nach einem Investitionsprogramm, das hatte Herr Müller vorgetragen, darauf hingewiesen, dass im aktuellen Haushalt 455 Millionen Euro an neuen Investitionsmitteln eingestellt seien. Das hört sich gut an. Da ist mir aber der Bericht zur Ausführung des Haushalts 2018 eingefallen. Da finden Sie die Feststellung: „Entgegen der Planung mussten aufgrund der bislang geringen Investitionstätigkeit und der zahlreichen Überschüsse aus Verwaltungstätigkeit nur rund 45 Prozent der planerischen Kredite tatsächlich aufgenommen werden.“ Das, meine Damen und Herren, ist keine Investition in die Zukunft, wenn man die Investitionen nur in den Haushalt schreibt und sie hinterher, vor allem aus Personalmangel, nicht durchführt, …

(Beifall)

… schon bewilligte Kredite nicht in Anspruch genommen hat und nimmt und es wieder einmal nicht schafft, beschlossene Investitionen zu tätigen und bereitgestelltes Geld auszugeben. Das machen Sie seit Jahren so und rechnen sich damit arm, auch, um einen Sparzwang zu konstruieren, jedenfalls bei denen, die nicht von der CDU, von der FDP und ähnlichen Parteien vertreten werden. Aber versuchen Sie einmal einen Perspektivenwechsel. Der tut gelegentlich gut. Betrachten Sie die Stadt mit den Augen der Bürgerinnen und Bürger und sagen Sie, was Sie sehen: Überfüllte Busse und Bahnen, mit Containern zugestellte Schulhöfe, viel zu wenig Kinderbetreuungsplätze, massiver Parkdruck und viel zu viel Individualverkehr mit allen Nachteilen. Was Sie übrigens fast nirgends sehen, ist bezahlbarer Wohnraum, aber das Thema wird nachher noch gründlicher besprochen. Woran liegt es nun, dass wir bei diesem Problem höchstens in Zeitlupe vorankommen? Das können Sie, außer von uns, auch noch von der Kreditanstalt für Wiederaufbau in ihrem Kommunalpanel 2018 erfahren, in dem steht: „In den Hoch- und Tiefbauämtern der Kommunen wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten Planungskapazitäten abgebaut. Nicht selten fehlen deshalb qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sowohl das nötige Förderungsmittelmanagement als auch die konkrete Projektrealisierung einschließlich Planung, Baubetreuung und Controlling bewerkstelligen können.“ Das ist dann das Ergebnis des zweiten Blindflugs, dem Sie gerne nachgehen, nämlich Privat vor Staat. Ich glaube, damit hat die Kreditanstalt für Wiederaufbau die Situation in Frankfurt gut beschrieben.
Kommen wir zur Stellenschaffung, der der Magistrat nicht wirklich nachkommt. Mit der Umwandlung von befristeten in unbefristete Arbeitsverhältnisse – das finden wir klasse, das ist gut und richtig – wird aber keine zusätzliche Arbeitskraft geschaffen. Da bleiben Sie weit zurück. Da machen Sie Taschenspielertricks. Damit gewinnen Sie vielleicht in den eigenen Reihen Zustimmung. Aber Probleme werden so nicht gelöst. Dazu kommt auch noch, dass bei dem momentanen Bauboom viele Firmen ausgelastet sind und sich im Straßenbau für diverse Ausschreibungen nicht ein einziger Interessent beworben hat, um ein paar Löcher zu flicken oder größere Dinge zu machen. Hätten Sie jetzt noch einen städtischen Bauhof zur Verfügung, wie wir LINKE ihn seit vielen Jahren fordern und immer weiter fordern werden, dann hätte die Stadt da deutlich mehr Handlungsspielraum.

(Beifall)

Deshalb ist unsere Forderung nach einem Investitionsprogramm zum jetzigen Zeitpunkt genau richtig. Es würde Arbeitsplätze schaffen. Das sieht übrigens auch Christine Lagarde so, die Direktorin des Internationalen Währungsfonds, die auch beileibe keine LINKE ist. Sie sagte in der FAZ vom 22.02.2019, dass der deutsche Staat den Haushaltsausgleich aufgeben und mit mehr Geld einige sinnvolle Dinge anstellen solle, zum Beispiel in die Modernisierung der öffentlichen Infrastruktur investieren oder die Kinderbetreuung ausbauen solle. Das wären Projekte, die die Wachstumskräfte stärken. Da bin ich ganz Christine Lagardes Meinung, wenn auch sonst nicht oft.

Ein Beispiel für sinnvolle zukunftsweisende Investitionen ist die Einhausung der A 661 in Seckbach. Das haben wir heute auch schon ein paar Mal gehört. Sie haben endlich einen Beschluss gefasst. Das wurde ja auch Zeit. Bis Sommer ist nur noch das Zeitfenster offen. Aber leider haben Sie sich für die zweitbeste Lösung entschieden, die etwas kürzere Variante L 2. Wir LINKE und übrigens alle betroffenen Ortsbeiräte plädierten und plädieren dafür, das gleich ordentlich zu machen und die große Variante zu wählen, die 27 Millionen Euro mehr kostet. Das ist viel Geld, aber es ist immer noch billiger, das jetzt für dieses Geld zu bauen, als es dann in zehn Jahren oder so nachholen zu müssen und bis dahin deutlich gestiegene Preise in allen Bereichen auffangen zu müssen. Da können sich dann Ihre Enkel bei Ihnen bedanken. Das Geld hätten Sie ihnen ersparen können.

(Beifall)

Jetzt schauen wir uns noch einmal an, wie es die Koalition mit der Bürgerbeteiligung hält. Die ist zumindest für die GRÃœNEN wichtig, für die SPD eher auch und für die CDU so na ja. Wir haben jetzt die beiden Bürgerbegehren vorliegen, den Rad– und den Mietentscheid. Beide haben das Quorum geschafft. Das städtische Rechtsamt hat in Sachen Radentscheid schon Position bezogen. Es hält ihn für unzulässig, der Magistrat in Teilen wohl auch. Aber das ist ein Kernthema der GRÃœNEN, deshalb wird auf Zeit gespielt und ein alternatives Gutachten angestrebt. Ãœbrigens ist es schlimm genug, dass nach fast 30-jähriger Beteiligung der GRÃœNEN an Frankfurter Stadtregierungen ein Radentscheid nötig ist, um die Dinge voranzubringen.

(Beifall)

Aber das gilt auch für Bereiche der Umweltpolitik. Ich will nur ein Thema kurz benennen: Wir haben seit 2016 ein prima Solarkataster, aber wir haben immer noch viel zu wenige Solaranlagen auf Dächern und Freiflächen, auch bei städtischen Liegenschaften. Die VGF fährt auch immer noch nicht mit Öko-Strom.
Ein weiteres wichtiges Thema ist die Wohnungspolitik, die jetzt in einem SPD?geführten Dezernat gemacht wird. Der Bestand an Sozialwohnungen reduziert sich weiter, er schmilzt ab, wie es im Bericht des Amtes für Wohnungswesen steht. Was die Frankfurterinnen und Frankfurter davon halten, sehen Sie beim erfolgreichen Bürgerbegehren zum Mietentscheid. Aber wann immer wir LINKE mehr Sozialwohnungen fordern, vor allem bei Projekten der ABG, erklären SPDler sowie der Dezernent Josef und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, letztens wieder in diversen Ortsbeiräten, dass zu viele Sozialwohnungen an einem Ort die Gefahr der Gettobildung bedeutet. Wie Mensch angesichts der Tatsache, dass ungefähr die Hälfte aller Frankfurterinnen und Frankfurter Anspruch auf geförderten Wohnraum haben, von Gettobildung sprechen kann, ist uns LINKEN völlig unerklärlich. Hier sollten Sie Ihre Haltung vielleicht noch einmal überdenken oder hat das rückwärtsgewandte Welt- und Menschenbild der Frankfurter CDU schon auf Sie abgefärbt?

(Beifall)

Meine Damen und Herren, Frankfurt wächst rasant. Auch Sie lassen sich gerne und immer wieder dafür feiern. Ist die Feier dann vorbei, kommt der Kater, den nicht Sie zu tragen haben, sondern die Bürgerinnen und Bürger, die nämlich unter den Unzulänglichkeiten Ihrer Politik leiden. Diese Koalition ist den kommunalpolitischen Herausforderungen nicht gewachsen: Die CDU nicht, die nach fast 30 Jahren Regierung eine Pause davon braucht und wir auch von ihr, die SPD und die GRÜNEN so auch nicht, weil sie sich in der Koalition gängeln lassen und in etlichen Fragen nicht ihrer eigenen Linie folgen oder sich anderweitig Mehrheiten suchen. Für die Zukunft dieser Stadt braucht es fortschrittliche Investitionen und vor allem auch eine solche Politik, natürlich auch im Bildungsbereich. Auch ich komme jetzt noch einmal darauf zurück, wie man auf die Idee kommt, eine katholische Privatschule mit 16 Millionen Euro zu beglücken, obwohl die katholische Kirche mit ihren immensen Reichtümern das problemlos alleine finanzieren könnte. Das erschließt sich mir wirklich nicht.

(Beifall)

Ich kommentiere normalerweise keine Handlungen der katholischen Kirche. Das ist nicht mein Verein. Ich bin mit 14 Jahren aus ihr ausgetreten. Hier sei es mir doch einmal erlaubt. Wenn ich sehe, was in Limburg an Geld vergeudet wird, wenn ich sehe, was in Rom an Geld bereitsteht, dann verstehe ich wirklich nicht, warum Sie in Frankfurt die 16 Millionen Euro nicht anderweitig ausgeben.

(Beifall)

Wenn die katholische Kirche ihren Bildungsauftrag so wichtig nehmen würde, dann würde es für mich viel näher liegen, wenn diese Kirche, die in Frankfurt nicht wenige Immobilien besitzt, diese der Stadt zu günstigen Konditionen, vielleicht zu Gotteslohn, überlässt, damit dort öffentliche Schulen und Kindergärten gebaut werden können.

(Beifall)

Lassen Sie mich mit einem Zitat von New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio, auch kein Linker, enden. Er hat in seiner letzten Neujahrsansprache gesagt: „Brüder und Schwestern, es gibt viel Geld in der Welt und in der Stadt, nur halt in den falschen Händen.“ Das würde ich auch gerne vom sozialdemokratischen Oberbürgermeister hören. Aber dazu braucht es wohl erst DIE LINKE in der Stadtregierung.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall)

Hier können Sie die Rede als PDF-Datei herunterladen.

Dieser Beitrag wurde unter Dominike Pauli veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.
Nach oben