Anfrage der Stadtverordneten Pearl Hahn und Merve Ayyildiz der Fraktion DIE LINKE. im Römer gemäß § 50 (2) HGO
Der Frankfurter Ordnungsdezernent wird zwar nicht müde, immer wieder zu wiederholen, dass es keinen Rassismus innerhalb der Ordnungsbehörden der Stadt Frankfurt gibt. Die Realität sieht jedoch anders aus. Das Bekanntwerden von rassistischen und rechtsextremen Netzwerken innerhalb der Frankfurter Polizei ist ein eindeutiger Beleg dafür.
Jedes Mal, wenn es um die Frage von Rassismus innerhalb von Behörden geht, werden die Vorfälle als Einzelfälle abgetan. So verweigern sich aktuell der hessische Innenminister und der Frankfurter Ordnungsdezernent beharrlich der Frage, ob diese Fälle nicht aus den Strukturen der Behörden heraus zu erklären sind. Sie wollen sich nicht die Frage stellen, ob Rassismus institutionalisiert und in den Gesetzen angelegt ist. Dabei ist institutionalisierter Rassismus trauriger Alltag in Deutschland. Das stellte nicht zuletzt eine Expert*innengruppe der Vereinten Nationen im Jahr 2017 fest. In ihrem Abschlussbericht stellte sie fest: „In Deutschland sind Menschen afrikanischer Abstammung jeden Tag Opfer von rassistischer Diskriminierung, Afrophobie und Racial Profiling. Doch ihre Situation wird von der Gesellschaft kaum wahrgenommen.“ Diese Feststellung reiht sich quasi nahtlos in das Wissen von Organisationen Betroffener und politische Initiativen ein, die sich seit Jahren gegen Rassismus und Menschenrechtsverletzungen einsetzen. In Frankfurt ist es nicht anders. Der Frankfurter Ordnungsdezernent nimmt insbesondere „Racial Profiling“ nicht als Problem wahr (siehe Antwort in der Fragestunde vom 31. August 2017, F747).
Zwar verbietet das Grundgesetz Diskriminierung auf Grund des äußeren Erscheinungsbildes. Ob dies in der alltäglichen Polizeipraxis auch so umgesetzt wird, ist – folgt man Studien, Berichten und Gutachten von Organisationen Betroffener – mehr als fraglich. Die Ausweitung polizeilicher Befugnisse und Vorverschiebung in Richtung präventiver Maßnahmen ohne Vorliegen einer konkreten Gefahr, stattet die Polizei mit einer strukturellen Eigenständigkeit aus. Polizeibeamt*innen obliegt es, eigenständig allgemeine Gesetze vor Ort anzuwenden, was häufig auf Basis von sogenanntem polizeilichen Erfahrungswissen geschieht. Dieses Erfahrungswissen ist jedoch häufig einseitig und von stereotypen Vorurteilen durchzogen. Generalklauseln und sogenannte verdachts- und anlassunabhängige Identitätskontrollen geben Polizeibeamt*innen einen weiten Ermessens- und Interpretationsspielraum, anstatt dass ihr Handeln einer demokratischen Kontrolle unterzogen wird und Transparenz über deren Befugnisse herrscht (vgl. Tomerius: „Gefährliche Orte“ im Polizeirecht – Strafverhütung als Freibrief für polizeiliche Kontrollen? Eine Beurteilung aus verfassungs- und polizeirechtlicher Perspektive – DVBI 2017 Ausgabe 22).
Internationale Verträge zum Schutz der Menschenrechte, etwa die Europäische Menschenrechtskonvention, verbieten Diskriminierung eindeutig. Personenkontrollen sind dann diskriminierend, wenn die Polizei systematisch Angehörige bestimmter Gruppen anhält, ohne dass es dafür objektive Gründe gibt. So ein Vorgehen ist gesetzeswidrig, sowohl bei der Einreisekontrolle als auch in der allgemeinen Polizeiarbeit. Auch ein Freiheitsentzug aus diskriminierenden Gründen ist illegal, unabhängig davon, wie kurz oder lang er dauert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat bestätigt, dass es in einer demokratischen Gesellschaft nicht zu rechtfertigen ist, dass Menschen auch durch die Exekutive ausschließlich oder primär deshalb anders behandelt werden, weil sie vermeintlich einer „anderen“ ethnischen Gruppe angehören. Unbegründete Personenkontrollen und willkürliche Haft sind nicht nur falsch, sondern können das Verhältnis zwischen Polizei und Gesellschaft massiv beschädigen.
„Racial Profiling“ resultiert nicht aus einem „Fehlverhalten“ einzelner Polizeibeamt*innen. Die Voraussetzungen dafür sind in den geltenden Polizeigesetzen angelegt. So befugt das Bundespolizei-Gesetz die Beamt*innen dazu, „zur Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise“ an Flughäfen, Bahnhöfen und Grenzen umfassende Identitätskontrollen vorzunehmen. Auch das Hessische Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) gibt der Polizei weitgehende Befugnisse, um Identitätskontrollen durchzuführen. Im § 18 HSOG (2) Nr. 1 ist geregelt, wo die Polizei die Identität einer Person feststellen kann: „An einem Ort, an dem Personen Straftaten verabreden, vorbereiten oder verüben, sich Personen ohne erforderlichen Aufenthaltstitel treffen, sich Straftäter verbergen, oder an dem Personen der Prostitution nachgehen.“ Dabei können Polizeibehörden festlegen, wo sich diese in der Rechtsliteratur als „gefährlich“ bzw. „verrufen“ bezeichneten Orte befinden. Hier können sie sogenannte verdachts- und anlasslose Identitätskontrollen durchführen. Welcher Ort als „verrufen“ oder „gefährlich“ eingestuft wurde, bleibt der Öffentlichkeit weitestgehend unbekannt. So kann die Identität einer Person aufgrund der Tatsache, dass sie sich an einem bestimmten Ort aufhält, festgestellt werden. Die Betroffenen müssen sich nicht einmal verdächtig verhalten haben. Wenn aber das Verhalten nicht der Maßstab für die Kontrollen ist, anhand welcher Kriterien sucht die Polizei die Personen heraus, die kontrolliert werden sollen, wenn nicht am äußeren Erscheinungsbild?
Das Deutsche Institut für Menschenrechte hält diese Praxis für menschenrechtswidrig. In seinem Bericht zu „Racial Profiling“ kommt es zu dem Schluss, dass der im Bericht exemplarisch für alle geltenden Polizeigesetze untersuchte § 22 Abs. 1 a Bundespolizeigesetz „grund- und menschenrechtlich nicht haltbar ist“. Dasselbe gilt auch für § 18 HSOG (2) (vgl. Deutsches Institut für Menschenrechte (2013): „Racial Profiling“ Menschenrechtswidrige Personenkontrollen nach § 22 Abs. 1 a Bundespolizeigesetz. Empfehlungen an den Gesetzgeber, Gerichte und Polizei).
Da die Kommune die geltenden Polizeigesetze nicht ändern kann, muss sie Vorkehrungen treffen, dass ihre Bürger*innen nicht grund- und menschenrechtswidrig behandelt werden. Die Kommune trägt Verantwortung dafür, dass ihre Bürger*innen darüber informiert werden, welche Orte die Polizeibehörden als „gefährlich“ oder „verrufen“ ausgewiesen hat.
Der Magistrat wird daher gebeten, folgende Fragen zu beantworten:
1. Welche Orte sind in Frankfurt am Main als sogenannte verrufene/gefährliche Orte nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 HSOG aktuell eingestuft?
2. Welche waren es in den letzten 5 Jahren? Gebeten wird um eine Aufschlüsselung der jeweiligen Orte und der genauen Begrenzungen dieser (etwa durch Straßen oder ähnliches), der jeweiligen Begründungen zur Einstufung sowie Zeitpunkt und Dauer.
3. Handelt es sich bei den in der Frankfurter Neue Presse vom 02.06.2018 genannten „Kriminalitätsschwerpunkten“ im Bereich Breite Gasse/Allerheiligenstraße, Bahnhofsvorplatz, Konstablerwache, Hauptwache, Bahnhofsviertel und Düsseldorfer Straße um solche Orte nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 HSOG? Wenn ja, seit wann und wie wird dies begründet? Wie verlaufen die jeweiligen Begrenzungen?
4. Falls eine genaue Auflistung nicht möglich ist, wird darum gebeten, beispielhaft einige konkrete Orte zu nennen, die üblicherweise als „gefährliche Orte“ eingestuft werden.
5. Wer ist für die Einrichtung dieser Orte konkret zuständig? Welche Kompetenzen muss diese Stelle haben? Kann beispielsweise nur eine Revierleitung darüber bestimmen oder auch ein*e Polizeibeamt*in ad hoc vor Ort?
6. Welche Möglichkeiten sieht der Magistrat, die Bürger*innen Frankfurts über eingerichtete bzw. einzurichtende „gefährliche Orte“ umfassend zu informieren?
7. An welche Stelle können sich Bürger*innen Frankfurts wenden, wenn sie erfahren möchten, wo sich aktuell solche „gefährlichen Orte“ in Frankfurt befinden? Welches Konzept der Informationspraxis wendet Frankfurt in diesem Fall (Informationen zu besonderen Kontrollorten) an?
8. Wie sieht die aktuelle Veröffentlichungspraxis der Stadt Frankfurt in Zusammenarbeit mit der Landespolizei Hessens in Bezug auf den obigen Paragraphen aus, und mit welcher Begründung wurde diese Praxis ausgewählt? Wer konkret entscheidet über diese Praxis?
9. Wie und in welchem Umfang wird der Magistrat durch die Landespolizei über Einrichtung solcher Orte informiert? In welchen Abständen leisten Reviere Bericht darüber?
10. Für die Einrichtung solcher „gefährlichen Orte“ werden ausführliche Lageerkenntnisse benötigt. Wie werden diese eingeholt und wie sieht dabei die Zusammenarbeit zwischen der Landespolizei und der jeweiligen Stadtpolizei in Bezug auf den § 18 Abs. 2 Nr. 1 HSOG aus?
11. Welche Art von Straftaten führen zur Einrichtung von gefährlichen Orten? Gibt es standardisierte Vorgehensweisen, etwa je Revier oder frankfurtweit?
12. Hält der Magistrat die Maßnahme von Identitätskontrollen an sogenannten „gefährlichen Orten“ als Gefahrenabwehr für effektiv? Wie wird die Effektivität festgestellt?
13. Wird der Stadt eine Evaluation seitens der Landespolizei oder anderer zuständigen Stellen vorgelegt? Es wird um eine Begründung gebeten.
14. Welche Stelle in Frankfurt ist dafür zuständig, die Polizei zu kontrollieren, da diese mit einer Vielzahl besonderer Eingriffsrechte in die Privatsphäre der Bevölkerung ausgestattet ist?
15. Welche Mechanismen stehen dieser Stelle zur Verfügung, um zu garantieren, dass illegitimes Verhalten seitens Polizeibeamter sanktioniert bzw. unterbunden wird?
16. Wie stellt der Magistrat sicher, dass die Polizei bei sogenannten verdachtsunabhängigen Kontrollen die Bürger*innen Frankfurts nicht diskriminiert? Gibt es Kontrollmechanismen?
17. An welche Stelle können sich Bürger*innen Frankfurts wenden, wenn sie von unrechtmäßigen Polizeikontrollen oder Polizeigewalt betroffen sind? Welche Maßnahmen können sie ergreifen?
Anfragestellerinnen:
Stv. Pearl Hahn
Stv. Merve Ayyildiz
DIE LINKE. im Römer
Dominike Pauli und Martin Kliehm