32. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am 4. April 2019
Aktuelle Stunde zur Frage Nr. 1777: Was bleibt aus Sicht des Magistrates zu tun, um das Ziel tatsächlicher Geschlechtergerechtigkeit in Frankfurt zu erreichen?
Stadtverordnetenvorsteher Stephan Siegler:
Danke! Die nächste Wortmeldung kommt von Frau Ayyildiz von der LINKE.-Fraktion. Bitte!
Stadtverordnete Merve Ayyildiz, LINKE.:
Sehr geehrter Stadtverordnetenvorsteher!
Hört doch bitte mit dem vorgezogenen Wahlkampf auf. Der heutige Aufruf der GRÜNEN, dass zum Jubiläum „100 Jahre Frauenwahlrecht“ nur Frauen zu Wort kommen sollen, ist ein weiteres Zeugnis der politischen Leere Ihrer Symbolpolitik.
(Beifall)
Genauso, wie wir es in Umweltfragen von den GRÜNEN gewohnt sind, soll ein irrelevanter symbolischer Akt die Bedeutung gesellschaftlicher Missstände benennen.
(Zurufe)
Dies ist keine elitäre Galerie, in der so etwas noch von Ihnen als Kunst geschimpft würde. Das Leben als Frau bedeutet einen Überlebenskampf in dieser heteronormativ gestalteten Welt, die von Männern für Männer ausgerichtet ist. Besonders der deutsche Wohlfahrtsstaat baut auf der konservativen Geschlechterordnung auf. Somit sind Frauen nicht nur strukturell, sondern auch institutionell von Geschlechterungleichheit betroffen. Sie verdienen über ein Fünftel weniger als Männer bei gleicher Arbeit, verfügen weniger über Zugänge zum Arbeitsmarkt und zur eigenständigen Existenzsicherung, sind in Führungspositionen sowie Parlamenten unterrepräsentiert und die Hauptzielgruppe von sexualisierter Gewalt, sowohl in der Ehe, am Arbeitsplatz als auch in jedem anderen Lebensbereich. Eine alleinerziehende Frau ist unmittelbar armutsgefährdet, und ist eine Frau erwerbstätig, so handelt es sich meist um prekäre Beschäftigung oder Teilzeit. Hinzu kommen die unbezahlte Hausarbeit, die familiäre Fürsorge und die Erziehung der Kinder. Über den Körper der Frau, wie wir es eben auch gesehen haben, verfügen Gesetzeslagen, die von Männern für Männer beschlossen und in Kraft gesetzt worden sind.
(Beifall, Zurufe)
Absurde Konstrukte dieser patriarchalen Gesellschaft reduzieren Frauen auf Männern untergeordnete Wesen, die für die Belange für Männer zu funktionieren haben. Sie werden objektifiziert und dienen durch ihre instrumentalisierten Körper als Projektionsfläche für Profitmarketing. Das Leben als Frau ist prekär. Das Leben als Woman of Color ist prekärer. Zum strukturellen Sexismus gesellt sich der strukturelle Rassismus. Zur sexualisierten Gewalt gesellt sich die rassistische Gewalt. Diese Diskriminierungsformen kreuzen sich und sind nicht getrennt voneinander zu betrachten. Die Anteile von Erwerbsarbeit und unbezahlter Hausarbeit teilen sich nicht unter Frauen und Männern auf, sondern unter verschiedenen Gruppen von Frauen. So sind es die Frauen mit sogenanntem Migrationshintergrund, die durch ihre Mehrfachdiskriminierung materiell abhängig gemacht werden in prekären Beschäftigungsverhältnissen, …
(Beifall)
… damit privilegiertere Frauen ihr Berufsleben und die Familie balancieren können. Es ist ein Unrechtssystem und die systematische Ausbeutung von Frauen, abgestuft in verschieden stark greifenden Diskriminierungskategorien. Sich in diesen Saal zu stellen, um sich selbst dafür zu beweihräuchern, dass man kaum Realitätsverände4rndes im Sinne des emanzipatorischen Kampfes zur Selbstbestimmung jedes einzelnen Menschen beigetragen hat, kann nur von den GRÜNEN kommen.
(Zurufe)
So realitätsfern ist diese kleine Inszenierung ihrer Alibipolitik, so aufgeplustert die Selbstüberschätzung, sie hätten Großes geleistet.
Vielen Dank für die Blumen und danke für gar nichts!
(Beifall)
Hier können Sie die Rede als PDF-Datei herunterladen.