37. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am 7. November 2019
Tagesordnungspunkt 6: Anstehende Sanierung der Paulskirche
Stellvertretende Stadtverordnetenvorsteherin Dr. Renate Wolter-Brandecker:
Danke schön, Herr Emmerling! Die nächste Wortmeldung kommt von Frau Pauli von der LINKE.‑Fraktion. Bitte schön!
Stadtverordnete Dominike Pauli, LINKE.:
Sehr geehrte Frau Vorsteherin,
sehr geehrte Damen und Herren!
Als die Stadt Frankfurt im Jahre 1946 ihren Goethepreis an Hermann Hesse vergab, war der zunächst unschlüssig, ob er ihn überhaupt annehmen sollte. Letztendlich akzeptierte er ihn. Ich zitiere mit Ihrer freundlichen Erlaubnis aus seiner Dankesrede: „Gerade in den Tagen, ehe ich meine Entscheidung wegen der Annahme des Preises zu treffen hatte, waren auf Deutschland wieder einmal ganze Haufen von Schmähbriefen gekommen.“ Er sagte an anderer Stelle: „Die Ehrung wurde mir ja nicht von jenem Deutschland angeboten, das es nicht mehr gab, sondern von der lieben alten, gut demokratischen und jüdisch kultivierten Stadt Frankfurt … und von einem Komitee, das … gewiss auch gewusst hat, dass es mit meiner Wahl nochmals jene Schicht im Volke, aus der die Hassbriefe kamen, jene … keineswegs aus der Welt verschwundene Schicht der fanatischen Nationalisten sich zum Feinde machen werde.“ Als dann Walter Kolb 1946 deutschlandweit um Spenden für den Wiederaufbau bat – Bernhard, du hast das ja schön ausgeführt, nur eine Kleinigkeit vergessen, denn außer, dass aus allen Schichten und Landesteilen Geld- und Sachspenden kamen -, war daran auch die SED aus Ost-Berlin mit einem erklecklichen Betrag beteiligt, denn die Paulskirche stand und steht für Demokratie und Hoffnung. Sie werden schon darauf warten, wer von unseren Klassikern kommt – sogar Karl Marx setzte gewisse Hoffnungen in die Beratungen dort, genauso, wenn auch vergeblich, die 1848 von zaristischen Russland attackierten Polen in ihrem Freiheitskampf. 2018 wurde die Paulskirche von Attac als Ort eines Protestes mit dem Motto „Her mit der Demokratie“ gewählt. Das sind einige Beispiele dafür, wie groß die Bandbreite sowohl zeitlicher als auch inhaltlicher demokratischer Hoffnung in Zusammenhang mit der Paulskirche war und ist. Deshalb finde ich es unglaublich, dass eine AfD sich mit diesem Thema beschäftigt, deren Thüringer Vorsitzender ein gerichtsnotorischer Faschist ist, und Sie sich hier zur Paulskirche äußern.
(Beifall)
Denn die AfD steht treu in der Tradition der von Hermann Hesse kritisierten Schreibern von Schmähbriefen, heute eben über Facebook und Twitter. Eine Partei, die für ihre Hassergüsse und ihre Zusammenarbeit mit völkisch‑nationalistischem Gesindel bekannt ist, tarnt sich wieder einmal als bürgerlich, pfui.
Meine Damen und Herren, aktuell ist die Paulskirche ein in Ehrfurcht erstarrter Staatssalon. Das wird sie bleiben, wenn sie sich nicht als Ort der Begegnung zur Stadtgesellschaft hin öffnet. Wir haben das von vielen Seiten heute Abend schon gehört. Das ist wohl auch von den meisten hier im Haus so gewollt. Sie sollte sich auch mit einem entsprechenden Angebot zur Jugend hin öffnen, aber – das ist uns LINKEN ganz besonders wichtig – auch gegenüber den Menschen, die nach Frankfurt zugewandert sind.
Was also soll die Paulskirche sein, was soll sie werden? Vielleicht so etwas wie ein Volksbildungsheim, ganz in der guten Tradition der Volkshochschulen. Eine Stätte für Toleranz, Vielfalt und gesellschaftlichen Aufbruch. Kurz gesagt: Ein Platz für all das, was die heutigen Anhänger des Völkisch‑Nationalen in der Tradition einer menschenverachtenden Ideologie so abgrundtief hassen – das sage ich ganz bewusst bezogen auf den Jahrestag der brennenden Synagogen am Samstag, aber auch bezogen auf angezündete Flüchtlingsunterkünfte -, ein Platz für eine multikulturelle und weltoffene Gesellschaft. Deswegen muss zuallererst über ein Konzept, das für die Öffnung der Paulskirche steht, diskutiert, gesprochen und gestritten werden und danach über Ziegel und Beton. Leider haben Sie eine große Chance in dieser Hinsicht vertan, indem Sie heute ganz kurz vor der Sitzung eine fünfseitige Tischvorlage eingereicht haben. Das ist nicht der sinnvolle Auftakt einer gemeinsamen Debatte, das ist arrogante Respektlosigkeit. Ich hoffe, das war ein Versehen. Ich würde es mir sehr wünschen, wenn die Diskussion um die Paulskirche in Zukunft anders laufen würde.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
(Beifall)
Hier können Sie die Rede als PDF-Datei herunterladen.