Der Stadtverordnetenvorsteher Stephan Siegler griff in einem Offenen Brief an Oberbürgermeister Peter Feldmann die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund deutscher Antifaschisten (VVN-BdA) scharf an. Diese wies die Unterstellungen zurück.
-
- English version of this open letter
- Aufgrund der Corona-Pandemie konnte die Veranstaltung nicht wie geplant wie in den Vorjahren durchgeführt werden, aber hier sind Videoaufnahmen von 2018, um einen Eindruck zu bekommen.
Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher Siegler,
mit großem Befremden haben wir Ihre Reaktion auf die Feierstunde zum Tag der Befreiung am 8. Mai gelesen. Wir finden es unerträglich, dass Sie als Stadtverordnetenvorsteher ausgerechnet anlässlich des Tags der Befreiung für alle, die unter dem Terror der Nazis gelitten haben, den VVN-BdA diffamieren, der 1947 von Kämpfer*innen im Widerstand und befreiten Überlebenden der NS-Verfolgung gegründet wurde.
Der VVN-BdA taucht im Hessischen Verfassungsschutzbericht nur ein einziges Mal beiläufig auf, in einem Kommentar zur DKP. Von der von Ihnen ohne Quellenangabe behaupteten Solidarisierung mit „gewaltbereiten Autonomen“ oder einem Bekunden, „das System der BRD überwinden“ zu wollen, steht darin nichts. Nein, der VVN-BdA will gemäß des Schwurs von Buchenwald etwas ganz anderes überwinden:
„Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht. Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden und ihren Angehörigen schuldig.“
Die Auschwitz-Überlebende und Ehrenvorsitzende des VVN-BdA, Esther Bejarano, ist Trägerin des Bundesverdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, Verdienstkreuz 1. Klasse und des Großen Verdienstkreuzes, Ehrenbürgerin von Saarlouis und zahlreicher weiterer Ehrungen.
Sie stellen Frau Bejarano und ihre Mitstreiter*innen im VVN-BdA als „Verfassungsfeinde“ dar und nehmen erneut mit dem Nachsatz „egal welcher Couleur“ eine Gleichsetzung vor von rechtem Terrorismus und eben jenen aufrechten Menschen, die genau gegen diese menschenverachtenden Taten und ihre Brandstifter in AfD und NPD demonstrieren.
Diese Gleichsetzung führt regelmäßig zu einer Verharmlosung von Rechtsterrorismus sowie zu einer Kriminalisierung von Antifaschist*innen. Der Hessische Verfassungsschutz, eben jener, der Andreas Temme beschäftigte und den rechtsextremen, mutmaßlichen Helfer am Mord von Walter Lübcke anwerben wollte, hat offenbar ein Problem, die Gefahr von Rechts wirksam zu bekämpfen. Stattdessen ist er besessen von linken Gegendemonstrierenden. Auch in der Hessischen Polizei gibt es nicht etwa ein Problem mit Linksradikalen, sondern mit Neonazis, wobei es schwerfällt, in dieser Häufung noch an „Einzelfälle“ zu glauben, wenn es doch offenbar systemimmanent ist.
Gerade Sie als Polizeibeamter sollten wissen, dass die Mütter und Väter der Verfassung des Landes Hessen eine gemeinsame Herkunft aus dem Antifaschismus vorzuweisen hatten. Gerade auch der starke sozialistische Flügel der CDU hat dies in den Frankfurter Leitsätzen von 1945 verewigt.
In diesem Sinne sollten wir als Stadtverordnete uns verneigen vor den Kämpfer*innen im Widerstand, den Verfolgten und Ermordeten und nicht ihren Verband am Tag der Befreiung diffamieren. Sie als Vorsteher vertreten mit diesem Alleingang nicht die Mehrheit der Stadtverordneten.
In Erwartung einer Stellungnahme
Dominike Pauli und Martin Kliehm, Fraktionsvorsitzende
P.S.: Da Sie wiederholt auch im Stadtparlament eine Rechts-Links-Schwäche zeigten, erlauben wir uns, Ihnen beiligend das Buch „Extrem unbrauchbar – über Gleichsetzung von links und rechts“ der von uns allen geschätzten Bildungsstätte Anne Frank zu überreichen. Im Übrigen ist die Bildungsstätte, wie auch der DGB und zahlreiche andere gesellschaftliche Verbände, Mitglied im „Bündnis 8. Mai“, das die von Ihnen angeprangerte Veranstaltung ausrichtete.