6. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am 23. September 2021 – Aktuelle Stunde zur Frage Nr. 195
Stadtverordnete Pearl Hahn, LINKE.:
Frau Stadtverordnetenvorsteherin,
meine Damen und Herren!
Dezernent Bergerhoff, dass Sie neu im Amt sind, ist keine Ausrede für Unwissenheit. Diskriminierung gibt es in allen Institutionen, auch in den jeweiligen Ämtern in Frankfurt.
Die letzten mir bekannten Statistiken vom Integrations- und Diversitätsmonitoring der
Stadt Frankfurt, Ausgabe Mai 2017, besagt, dass lediglich 15 Prozent der städtischen
Beschäftigten im Jahr 2014 einen Migrationshintergrund hatten, obwohl Migranten die
Hälfte der Frankfurter Bevölkerung ausmachen. Anonymisierte Bewerbungsverfahren
sind ein Versuch, Chancenungleichheit und Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt entgegenzuwirken, indem Angaben wie Herkunft, Alter und Geschlecht weggelassen werden. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat im Jahr 2010 ein Pilotprojekt mit acht Unternehmen durchgeführt. Das Ergebnis des Pilotprojektes hat gezeigt, dass besonders Frauen und Migrantinnen von anonymisierten Bewerbungsverfahren profitieren können. Alleine deswegen sollten wir von anonymisierten Bewerbungsverfahren Gebrauch machen.
Nun ist Diskriminierung eine komplexe gesellschaftliche Tatsache, die nicht durch eine
einzige Maßnahme abgebaut werden kann. Anonymisierte Bewerbungsverfahren sind
kein Allheilmittel. Folgende Kritikpunkte möchte ich benennen: Berufsanfängerinnen
mit weniger Qualifikation können benachteiligt werden. Individuelle Berufswege und persönliche Herausforderungen können nicht durch anonymisierte Bewerbungsverfahren
gewürdigt werden, zum Beispiel eine migrantische Frau im Rollstuhl, die Mehrfachdiskriminierung erfährt, wird genauso bewertet wie eine Person, die keine beziehungsweise wenig Diskriminierung erfährt. Anonymisierte Bewerbungsverfahren können nicht überall angewandt werden. Bei kreativen Stellen zum Beispiel, bei denen persönliche Charaktereigenschaften eine große Rolle spielen, sind anonymisierte Bewerbungsverfahren nicht zielführend. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass Diskriminierung nur bis zum Vorstellungsgespräch aufgeschoben wird. Folgende Lösungsansätze müssen wir zusätzlich einsetzen: Wir brauchen Personen, die bei Bewerbungsverfahren selbstkritisch mit den eigenen Vorurteilen umgehen können. Wir brauchen Antidiskriminierungsfortbildungen in allen Institutionen und besonders für Personen, die Bewerbungsverfahren durchführen. Wir dürfen Menschen, die Ungleichheit beziehungsweise Diskriminierung erfahren, nicht mit den gleichen Maßstäben beurteilen. Das wäre nämlich eine Ungleichbehandlung.
Danke!
(Beifall)