Wem gehört die Paulskirche?

8. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am 09. Dezember 2021 – TOP 10  Jubiläum 175 Jahre Nationalversammlung

Stadtverordnete Dominike Pauli, LINKE.:

Sehr geehrter Herr Vorsteher,
sehr geehrte Damen und Herren!
Ich habe mich jetzt einmal spontan zu Wort gemeldet, weil doch ein paar Dinge gesagt
wurden, zu denen ich mich gerne äußern würde. Bei 1848, das werden Sie verstehen, denke ich als Linke eher an die Veröffentlichung des Kommunistischen Manifestes. Das wäre mir auch mehr Anlass zu feiern, als die Nationalversammlung in der Paulskirche. Klatsche nicht zu früh, Jutta, es kommt jetzt gleich was, da bist du sicher nicht einer Meinung. Ob es einen Grund zum Feiern ist und ob man hier wirklich von einer „Wiege der Demokratie“ sprechen kann, möchte ich doch bezweifeln. Schließlich war die Nationalversammlung mehr geprägt vom Ausgeschlossenen als vom Inkludierten. Wenn ich überlege, wer alles nicht dabei war – Frauen, der komplette Vierte Stand und so weiter -, dann finde ich, ist das zumindest eine zwiespältige Geschichte, derer man sich in aller Kritik nähern muss.

(Zurufe)

Ich finde auch, dass das, was ich sage, richtig ist, Peter. Deshalb würde ich gerne noch auf einen Punkt eingehen, den wir uns gemeinsam überlegen müssen, nämlich, dass nicht nur die üblichen Verdächtigen sich jetzt mit dem Thema Paulskirche heute und auch historisch beschäftigen sollen, sondern dass meiner Ansicht nach endlich auch der Vierte Stand beteiligt sein muss, der damals nicht dabei war. Es ist auch ein Buch erschienen mit dem Titel „Wem gehört die Paulskirche?“. Ich finde, wir sollten da entlang diskutieren. Um Ihnen ein Beispiel zu geben, was ich damit meine, habe ich einmal zwei Zitate aus dem
Buch mitgebracht, die ich Ihnen jetzt mit Ihrer freundlichen Erlaubnis gerne vorlesen würde. Erst einmal zu der Frage, wer in der Paulskirche Platz haben soll: „Die Paulskirche gehört denen, die nicht Pathos, sondern die vorbehaltlose Durchsetzung der Menschen- und Bürgerrechte fordern, denen, die sich nicht an oder in Feierstunden berauschen, sondern sich dem mühseligen Geschäft widmen, das Ernst Bloch als ‚Orthopädie des aufrechten Gangs‘ bezeichnet hat.“ Ich finde, wenn wir das als ein Kriterium nehmen, wie wir uns mit diesem Thema beschäftigen wollen, dann kommen wir der Sache näher, als mit diesem gesamten Beweihräuchern, das hier heute auch zu hören war. Was speziell uns Parlamentarier anbelangt, habe ich noch ein zweites Zitat, und das geht so: „Die Paulskirche wäre durchaus der geeignete Ort für ein verpflichtendes Fortbildungsseminar, in dem die Mandatsträger dazu angeleitet werden, ihr Verhältnis zur viel zitierten Zivilgesellschaft grundsätzlich zu überdenken. Lernziel: Das, was sich da draußen in Bürgerinitiativen, Arbeitsgruppen, Versammlungen, auf Straßenfesten, Demonstrationen und in Kneipen zusammenrauft, stellt nicht in erster Linie ein abschöpfbares Wählerreservoir dar, sondern die Gewählten für die Aufgabe, die dort formulierten
Anforderungen sowohl mit einem ausgewiesenen Begriff des Gemeinwohls als auch mit
den notwendigen Chancen und Grenzen eines demokratisch legitimierten Verwaltungshandelns zu vermitteln.“ Ich denke, das sind zwei Rankhilfen, anhand derer wir das Thema Paulskirche auch diskutieren könnten und sollten. Das wollte ich Ihnen gerne für die besinnliche Zeit an Weihnachten mit auf den Weg geben. Vielen Dank!

(Beifall)

Dieser Beitrag wurde unter Dominike Pauli veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.
Nach oben