11. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am 31. März 2022:
Stadtverordneter Michael Müller, LINKE.:
Frau Vorsteherin,
meine sehr geehrten Damen und Herren!
Eigentlich ist Skepsis eine feine Sache. Philosophen haben auch gesagt, dass der Zweifel immer die eigentliche Tugend des Denkens ist. Allerdings erfährt das auch gewisse Grenzen. Grenzen müssen wir aufzeigen, wenn wir uns die Debatte um die Coronaspaziergänge anschauen, weil was dort passiert, hat mit ehrlicher Skepsis, hat mit Zweifel und hat mit demokratischer Artikulation von Unmut nichts mehr zu tun. Es ist völlig klar, dass, wenn Grundrechte angegriffen werden, es das legitime Recht ist, Zweifel zu haben. Man kann prüfen, ob die Verhältnismäßigkeit gewahrt ist, ob es ein geeignetes Mittel ist, ein legitimes Ziel ist, aber all das passiert nicht mehr bei diesen sogenannten Spaziergängen.
Ja, wir sind im Krieg, und deswegen ist die Coronapandemie ein bisschen in den Hintergrund getreten. Aber ich möchte Ihnen noch einmal zwei Zahlen mitgeben. Von gestern auf heute sind in Deutschland 348 Menschen an den Folgen von Corona gestorben. Und jeden Tag sterben Menschen an den Folgen von Corona. Die Covidpandemie ist noch lange nicht vorbei. Sie wird uns weiter beschäftigen, und deswegen ist es auch richtig und notwendig, dass wir als Demokratinnen und Demokraten sagen, wo eine Grenze überschritten wird. Zusammenhalt und Solidarität ist viel erwachsen in den letzten zwei Jahren der Pandemie, sichtbar geworden bei einem großen Teil der Gesellschaft. Viele Menschen haben Rücksicht genommen auf die anderen. Wir haben hier auch schon oft Debatten geführt, in denen es um Solidarität und Zusammenhalt ging, und wir haben gelobt, dass viele Frankfurterinnen und Frankfurter solidarisch sind. Dennoch müssen wir auch feststellen, dass es eine Minderheit gibt, die eben nicht solidarisch ist, die das Leben von anderen gefährdet. Deswegen ist es auch notwendig, hier aufzustehen und ein Stoppschild zu zeigen.
Die Frankfurter Erklärung, wie sie beschlossen wurde, wie sie von vielen getragen wird, die drückt das auch aus. Wenn sogenannte Coronaleugnerinnen und Coronaleugner Seite an Seite mit Rechtsextremisten laufen, die sich mit dem gelben Stern schmücken und sich somit als vermeintliche Opfer gerieren und damit nichts anderes tun, als den Holocaust zu relativieren, dann ist eine rote Linie überschritten. Dann gibt es auch kein Wegducken mehr, sondern dann müssen wir klare Kante zeigen und genau das schafft die Frankfurter Erklärung. Sie ist deutlich, sie zeigt Grenzen auf und sie negiert in keinster Weise das demokratische Recht, Zweifel zu haben oder etwas infrage zu stellen. Aber was sie negiert, ist, dass Menschen im Fahrwasser der Coronapandemie die Sorgen von anderen Menschen missbrauchen, um ihre demokratiefeindliche, teilweise faschistische, menschenverachtende und ausgrenzende Ideologie vorzuführen und für sich ins Feld zu führen, Opfer einer vermeintlichen Diktatur zu sein. Das ist doch der blanke Hohn.
Was mich dann absolut fassungslos macht, ist, wenn auf den jetzigen sogenannten Spaziergängen auch russische Fahnen mitgetragen werden. Eine wirkliche Unfreiheit herrscht doch momentan in Russland vor, da könnte man nicht so frei demonstrieren für den Frieden. Da kann man gerade nicht demonstrieren, wenn man sich in seinen Grundrechten angegriffen fühlt, da herrscht Unfreiheit und da herrscht Repression, aber doch nicht hier in diesem Land. Von daher ist es ein richtiger Schritt, dass es eine große, breite Mehrheit der Menschen in dieser Stadt, aber auch in dieser Stadtverordnetenversammlung gibt, die mit dieser Erklärung etwas deutlich macht, nämlich dass wir uns auch positionieren, und zwar auch konfrontativ gegen Menschen, die unsere Art des Zusammenlebens infrage stellen und die eben auch letztlich das Menschenleben von vielen gefährden, weil sie sich unverantwortlich verhalten und weil sie eben nicht erkennen, dass Impfen der beste Schutz ist, um sich und andere zu retten, dass Masketragen kein Gängeln ist, sondern notwendiges Mittel ist, um eine Pandemie einzudämmen. Wenn die Frankfurter Erklärung dann ein bisschen dazu beigetragen hat, dann hat sie schon sehr viel bewirkt. Leider Gottes habe ich aber auch keine Hoffnung, denn manche wird man nicht ändern können, aber die, die eine andere Meinung haben, müssen sich zumindest in einem gewissen Korridor bewegen, der nicht Holocaustrelativierung ist, der nicht ausgrenzend ist, der nicht faschistisch ist und der nicht Grundrechte in der Form infrage stellt, wie sie gar nicht infrage gestellt werden dürfen.
Danke schön!