Die Stadtverordnetenversammlung möge beschließen:
Der Magistrat wird aufgefordert, im Namen der Stadtverordnetenversammlung am 20.12. 2023 eine Vortrags- und Gedenkveranstaltung zum 60. Jahrestag des Beginns der Frankfurter Ausschwitzprozesse im Plenarsaal des Römers abzuhalten und dazu alle wichtigen Persönlichkeiten und geeignete Redner*innen zu laden. Zudem soll geprüft werden, ob und wie zu dem historischen Ereignis in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum, dem Fritz-Bauer-Institut, dem Historischen Museum, dem Institut für Stadtgeschichte und weiterer Forschungseinrichtungen und Museen eine Sonderausstellung konzipiert und an geeigneter Stelle eingerichtet werden kann.
Begründung:
Am 16. April 1963 wurde beim Landgericht Frankfurt am Main Anklage eingereicht gegen 23 SS-Angehörige und einen Funktionshäftling. Ihnen wurde vorgeworfen im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau an Tötungsverbrechen der Nationalsozialisten beteiligt gewesen zu sein.
Ausgangspunkt für die staatsanwaltlichen Ermittlungen waren detailliert dokumentierte und von SS-Angehörigen unterzeichnete Erschießungslisten aus dem KZ Auschwitz-Birkenau, die der Journalist Thomas Gnielka dem Frankfurter Generalstaatsanwalt Fritz Bauer zukommen ließ. Auf Betreiben von Bauer leitete die Staatsanwaltschaft Frankfurt ein Ermittlungsverfahren ein und befragte im Rahmen der gerichtlichen Voruntersuchung rund 1400 Personen.
Der darauf aufbauende erste Frankfurter Auschwitzprozess lief vom 20. Dezember 1963 bis zur Urteilsverkündung am 19. und 20. August 1965. Die Anklageschrift umfasste rund 700 Seiten und beinhaltete neben zahlreichen Beweisurkunden 75 Aktenbände mit weiterem Beweismaterial. Insgesamt wurden 360 Zeug*innen vernommen. Von den 20 verbliebenen Angeklagten – der eigentliche Hauptangeklagte Richard Baer, der letzte Lagerkommandant in Auschwitz-Birkenau, verstarb noch vor Prozessbeginn in Untersuchungshaft; das Verfahren gegen den KZ-Sanitäter Hans Nierzwicki wurde aus Krankheitsgründen kurz vor Prozessbeginn abgetrennt; der ehemalige Blockführer Heinrich Bischoff starb während des laufenden Prozesses im Oktober 1964; der KZ-Sanitäter Gerhard Neubert erkrankte während des Prozesses und wurde im zweiten Auschwitzprozess verurteilt – wurden 16 zu teils lebenslangen Haftstrafen verurteilt, einer zu einer 10-jährigen Jugendhaftstrafe und 3 aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Im zweiten und dritten Frankfurter Auschwitzprozess wurden 5 weitere Angeklagte zu teils lebenslangen Haftstrafen verurteilt.
Der erste Frankfurter Auschwitzprozess war der größte Strafprozess der Nachkriegszeit in Deutschland und aus heutiger Sicht ein wichtiger, wenn auch unzulänglicher Schritt in der juristischen Ahndung nationalsozialistischer Tötungsverbrechen. Im Rückblick wird der Versuch der bundesdeutschen Justiz, die NS-Verbrechen auf der Grundlage des zur Tatzeit geltenden Strafrechts (Reichsstrafgesetzbuch von 1871) zu ahnden, zwar allgemein als gescheitert betrachtet, aber die Rolle der Auschwitzprozesse für die bis heute andauernde gesellschaftliche Aufarbeitung von NS-Unrecht kann nicht stark genug hervorgehoben werden.
Die damals gefällten Urteile wurden von vielen, auch von Fritz Bauer, als zu milde empfunden. Die Prozesse jedoch brachten in den Folgejahren eine Debatte zum Umgang mit NS-Verbrechen in Gang, die schlussendlich im Jahr 1979 zur Aufhebung der Verjährungsfrist von Mordtaten führte, u.a. auch, weil dadurch NS-Verbrechen weiterverfolgt werden konnten. Beihilfe zum Mord und Mord galten seitdem als die einzigen NS-Verbrechen, die noch nicht verjährt sind. Damit galten aber beispielsweise SS-Wachen, die mit ihren Taten einen Anteil daran hatten, dass Morde geschehen konnten, im juristischen Sinne nicht als „Beihelfer“. Das änderte sich mit dem Prozess gegen den SS-Wachmann John Demjanjuk, der 2011 wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 28.060 Fällen im Vernichtungslager Sobibor zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde. Damit wurde es möglich, auch indirekte Mittäter zur Verantwortung zu ziehen.
In Frankfurt wurde diesem historischen Ereignis und seinem Fortwirken auch schon zuvor anlässlich von Jahrestagen des Beginns der Auschwitzprozesse gedacht. Zum 30. Jahrestag wurde vor dem hauptsächlichen Prozessort, dem SAALBAU Gallus, eine Gedenkinstallation enthüllt. Anfänglich hat der erste Auschwitzprozess im Plenarsaal im Römer stattgefunden, weil die Frankfurter Justiz selbst keinen Raum von der erforderlichen Größe besaß. Aus diesem Grund bietet es sich auch an, die Vortrags- und Gedenkveranstaltung im Plenarsaal des Römers abzuhalten. Zum 50. Jahrestag wurde die Umbenennung des großen Saals des SAALBAU Gallus in Fitz-Bauer-Saal veranlasst und im Gerichtsviertel eine Gedenktafel zur Erinnerung an das Wirken des Generalstaatsanwalts installiert, der eine herausragende Rolle für das Zustandekommen der Auschwitzprozesse in Frankfurt gespielt hat. Im darauffolgenden Jahr wurde die vielbeachtete Ausstellung zu Fritz Bauer durch das Jüdische Museum und das Fritz-Bauer-Institut eröffnet.
Auch die aktuelle Ausstellung im Historischen Museum „Frankfurt und der Nationalsozialismus“ behandelt das Thema Auschwitzprozesse. Im Ankündigungstext lautet es: „1963 bis 1968 führte die Staatsanwaltschaft Frankfurt auf Betreiben des hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer drei „Auschwitzprozesse“ durch: Erstmals seit 1945 wurden 22 Angeklagten schwerste Verbrechen im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau zur Last gelegt. In einer Kartei sammelte die Staatsanwaltschaft alle Informationen zum SS-Personal und zu vernommenen Zeugen und Zeuginnen.“ Es wäre zu prüfen, ob darauf aufbauend eine Sonderausstellung zum Thema Frankfurter Auschwitzprozesse konzipiert werden kann.
Dominike Pauli und Michael Müller
Fraktionsvorsitzende
Antragstellende:
Stv. Ayse Dalhoff
Stv. Dominike Pauli
Stv. Daniela Mehler-Würzbach
Stv. Eyup Yilmaz
Stv. Michael Müller
Stv. Monika Christann