Der Pflegenotstand kann nur behoben werden, wenn Bezahlung und Arbeitsbedingungen stimmen

 

23. Plenarsitzung am 22. Juni 2023

 

Stadtverordnete Monika Christann, LINKE.:

 

Herr Vorsteher,

werte Stadtverordnete!

 

Welch löblicher Ansatz, die Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verbessern! Das wünschen wir uns seit Langem. Denn wir wissen, dass Pflegekräfte in Kliniken und Altenheimen nicht so geschätzt sind, wie sie es verdienen, und dass sie wegen dieser ungerechtfertigten Geringschätzung krass unterbewertet sind, was wiederum zur Folge hat, dass seit Jahren viele Pflegekräfte ihrem eigentlich geliebten Beruf den Rücken kehren.

Der zweite Grund ist das permanent unterbesetzte Personal. Wie es in der Antragsbegründung im Antrag NR 654 steht, gibt es in anderen Branchen schon sehr gute Erfahrungen mit der Einführung der 4‑Tage‑Woche bei vollem Lohnausgleich, die sich trotzdem für die Unternehmen rechnet. Schon seit Jahren fordert die LINKE. eine neue Standardarbeitszeit von 30 Stunden bei vollem Lohnausgleich, weil die Vorteile auf der Hand liegen und es nicht nur zu mehr Zufriedenheit und Gesundheit, nicht zuletzt durch eine bessere Work-Life-Balance, kommt, sondern auch, weil es sich für die Unternehmen aufgrund der positiven Auswirkungen rechnet. Die bisher auch in Deutschland vorliegenden Studien – die Hans-Böckler-Studie wurde schon erwähnt – für verschiedene Branchen belegen dies und geben unseren Forderungen recht. Freilich wollen die Arbeitgeberverbände genau das Gegenteil. Sie fordern stumpf eine rückwärtsgewandte Erhöhung der 40 Stunden Wochenarbeitszeit und begründen dies unter anderem damit, dass Menschen, die prekär arbeiten und deswegen nicht über die Runden kommen, mehr arbeiten müssten. Was für ein Wahnsinn und eine Menschenverachtung! Zusätzlich wird damit negiert, dass die digitale Transformation definitiv eine Arbeitsplatzvernichtung in vielen Berufen mit sich bringen wird. Deswegen ist es zu begrüßen, dass die Koalition jetzt mit dem vorliegenden Antrag dem schon länger propagierten Ansatz der LINKEN. einer niedrigeren Standard-Wochenarbeitszeit von 30 Stunden folgt. Wir nennen das „neue Normalarbeitszeit“. Das stand schon in unserem letzten Bundestagswahlprogramm als Forderung. Insofern geht der vorliegende Antrag mit 32 Wochenstunden in die richtige Richtung.

 

Doch kommen wir nun zu einzelnen Punkten, die kritisch zu sehen sind. Zunächst ist es so, dass der Antrag lediglich ein Prüfen und Berichten durch den Magistrat fordert. Es kann also sein, dass dieses Projekt niemals umgesetzt wird. Aus der Erfahrung der letzten Monate und Jahre bin ich skeptisch. Es ist offenbar beabsichtigt, dass durch die Umstellung auf die 4‑Tage‑Woche nicht nur höhere Kosten für das Pflegeheim entstehen, was logisch ist, sondern auch, dass die höheren Kosten an die Bewohner:innen des Pflegeheims weitergegeben werden sollen. Ein In-die-Höhe-Treiben der monatlichen Pflegebezahlung trifft vor allem diejenigen, welche nicht so gut betucht sind. Dies muss vermieden werden, denn eine Zwei-Klassen-Pflege wollen wir nicht. Die Refinanzierung ist noch ein Problem. Denn sie ist erstens sowieso zu niedrig und zweitens werden nur bestimmte Pflegetätigkeiten erfasst.

 

Von fachlicher Unkenntnis zeugt der zweite Absatz. Eine eventuelle Beschränkung des Modellversuchs auf nur eine Abteilung innerhalb eines Heims ist abzulehnen, weil Pflegeleistungen nur gut funktionieren, wenn sie im Team passieren. Zur erfolgreichen Teamarbeit gehören Pflegefachkräfte, Pflegehelfer:innen, Küchenpersonal, Reinigungsfachkräfte, vor allem Hygiene, Sozialarbeiter:innen, Physiotherapeut:innen, Ergotherapeut:innen, Betreuungskräfte, Haustechnik, Gerontologie, Ärztinnen und Ärzte, Gärtner:innen, Qualitätsbeauftragte, Hauswirtschafter:innen, Heimleitung. Für Aussagen zur Zufriedenheit und zu     m Wohlbefinden der Heimbewohner:innen sind alle diese Berufsgruppen nötig, auch um belastbare Ergebnisse zu den Auswirkungen auf Wirtschaftlichkeit und Pflegequalität zu erhalten. Ein großer Knackpunkt wird sicherlich sein, dass der Medizinische Dienst und die Pflege- und Krankenkassen mitmachen müssen, ohne sie wird es nicht gehen.

 

Ich fasse noch einmal zusammen: Der Pflegenotstand kann nur behoben werden, wenn Bezahlung und Arbeitsbedingungen stimmen. Der Antrag beschäftigt sich aber nur mit den organisatorischen Arbeitsbedingungen. Dazu müsste der Personalschlüssel erheblich verändert werden. Insgesamt braucht es andere Formen des Pflegesystems, allerdings nicht nach den Wünschen Lauterbachs. Was nicht geklärt ist, aber auch in einem städtischen Haushalt sehr wohl berücksichtigt werden kann, ist die wertschätzende Bezahlung. Glücklicherweise haben städtische Häuser einen Tariflohn. Ein Tariflohn ist jedoch nur eine Absicherung nach unten. Niemand verbietet eine bessere und attraktivere Bezahlung. Jetzt wird das Argument kommen: Wir können das nicht bezahlen. Doch, entgegne ich Ihnen, wir können und wir müssen. Schon alleine, um der sozialen Spaltung unserer Gesellschaft, auch unserer Stadtgesellschaft, entgegenzuwirken. Wie das geht, wissen Sie: Stärkere Schultern müssen schwächere Schultern unterstützen. Ich sage nur Anhebung der Gewerbesteuer auf frühere Sätze und nicht wie geplant sogar noch die massiven Einsparungen im Haushalt ab 2024, die auch für die Pflege und die Kitas gemäß des Haushaltsentwurfs des Kämmerers auf die städtische Bevölkerung zukommen. Das ist kontraproduktiv.

 

Danke!

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