Änderungsantrag zur OF 945 der Fraktionen von CDU, FDP und Die LINKE im Ortsbeirat 2
Der Ortsbeirat wolle beschließen:
in Zusammenarbeit mit der Jüdischen Gemeinde FFM, der Messe Frankfurt und dem Ortsbeirat 2/ den Antragstellern ein tragfähiges Konzept zu entwickeln und zeitnah umzusetzen, die bestehende ‚Gedenktafel zur Erinnerung an die Reichsprogromnacht 1938‘ auf dem künftigen ‚Reich-Ranicki-Platz‘ mit höchster Priorität endlich und zeitnah würdevoll und angemessen aufzuwerten, bzw. neu zu gestalten.
Der Ortsbeirat 2 erklärt, sich neben dem ideellen Engagement selbstverständlich auch monetär an der Umsetzung zu beteiligen.
Alle sich aus dem Projektverlauf ergebenden künftigen Schritte die das Projekt betreffen sind mit den Antragstellern/ Initiatoren abzustimmen, bzw. durch einen Beschluss des Ortsbeirates herbeizuführen.
Begründung:
In wenigen Nächten (nach dieser Sitzung des Ortsbeirates am 4.November 2024) – vom 9. auf den 10. November – jährt sich die Reichspogromnacht zum 86. Mal. Der Ortsbeirat 2 erneuert in dieser Sitzung sein Bekenntnis, sich weiter und entschieden gegen jegliche Form des Antisemitismus zu stellen. Hierzu gehören auch die Verbreitung von Verschwörungstheorien, der Einsatz judenfeindlicher Symbole oder dem Staat Israel das Existenzrecht abzusprechen.
Der Ortsbeirat 2 wird seine Arbeit auf diesem Gebiet selbstverständlich weiter fortsetzen und fortlaufend Projekte gegen Judenfeindlichkeit und zur Erhaltung der Erinnerungskultur politisch und finanziell unterstützen, bzw. mit hoher Priorität voranbringen.
Ein wichtiger Baustein ist hier, an Menschen und Orte zu erinnern und diese im Gedächtnis des Ortsbezirks zu verankern. Mit der am 11. März dieses Jahres vom Gremium verabschiedeten OIB 304 werden derzeit u.a. zwei Projekte unterstützt, welche sich mit den in den Progromen 1938 geschändeten und zerstörten Synagogen im Ortsbezirk (Unterlindau 23/ Westend-mit der Konfirmandengruppe der evang.-reform. Gemeinde FFM) und Schlossstr. 3-5/ Bockenheim (mit den Freunden Bockenheims e.V.) auseinandersetzen.
Weitere Projekte der Antragsteller befinden sich in der Vorbereitung.
Nach der Reichsprogromnacht der Nationalsozialisten 1938 – vom 10.-13. November – wurden mehr als 3.000 (nach heutigem Stand 3.155) jüdische Männer aus Frankfurt/ Main und dem Rhein-Main Gebiet verhaftet, zunächst in der Frankfurter Festhalle (zwischen 1907 und 1909 erbaut) zusammengetrieben, festgehalten, durch Polizei, SA und SS, schwer misshandelt und danach in die Konzentrationslager Buchenwald und Dachau deportiert. Viele von Ihnen wurden in den Folgejahren ermordet.
77 Jahre später, im Juni 2015 wurde auf dem Platz vor der Frankfurter Festhalle eine Gedenktafel enthüllt. Ihr Text lautet: „Vom 10. bis 13. November 1938 wurden nach der Reichspogromnacht mehr als 3.000 jüdische Mitbürger aus Frankfurt und dem Rhein-Main-Gebiet in der Festhalle zusammengetrieben, festgehalten und durch Polizei, SA und SS schwer misshandelt und in Konzentrationslager verschleppt. Viele von ihnen wurden in den Folgejahren ermordet. Die Stadt Frankfurt am Main gedenkt der Opfer von Terror und Gewaltherrschaft.“
Die Tafel wird jedoch aufgrund ihrer Größe und Unscheinbarkeit kaum wahrgenommen.
In der Diskussion um den Auftritt des mit Antisemitismusvorwürfen konfrontierten Musikers Roger Waters (Mitbegründer von Pink Floyd) im März 2023 rückte die Diskussion um den Umgang mit der Geschichte der Frankfurter Festhalle und des „Mahnmals zur Reichsprogromnacht“ wieder in den Vordergrund.
Die Messe GmbH hatte im Herbst 2022 mit der Produktionsfirma des Antragstellers einen Vertrag zur Durchführung der Veranstaltung „Roger Waters 2023 Konzert“ am 28.05.2023 in der Frankfurter Festhalle. Die Stadt Frankfurt am Main und das Land Hessen sind Gesellschafter der Messe GmbH und halten jeweils 60 bzw. 40 % Geschäftsanteile.
Mit Magistratsbeschluss vom 24.02.2023 wies die Stadt zusammen mit dem Land die Geschäftsführer der Messe GmbH an, den Veranstaltungsvertrag unverzüglich aus wichtigem Grund zu kündigen und damit die Festhalle nicht für das Konzert zur Verfügung zu stellen. In dem Rücktrittsschreiben der Messe GmbH an die Produktionsfirma des Antragstellers vom 21.03.2023 wurde hierzu ausgeführt, dass man auf mögliche israelfeindliche Äußerungen des Antragstellers und auf mögliche israelkritische Teile seiner Bühnenshow aufmerksam gemacht worden sei.
Nach erfolglosen Verhandlungen über die Nutzung der Festhalle und somit über die Vertragserfüllung hat der Produktionsfirma am 04.04.2023 einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main gestellt, mit dem er gegenüber dem Land und der Stadt Frankfurt am Main seinen Anspruch auf Nutzung der Festhalle geltend gemacht hat.
Mit Beschluss vom 24.4.2023 hat die zuständige 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main dem Antrag überwiegend stattgegeben und entschieden, dass das Land Hessen und die Stadt Frankfurt am Main dem Antragsteller durch entsprechende Einwirkung auf die Geschäftsführer der Messe GmbH Zutritt zur Festhalle zur Durchführung des Konzertes am 28.05.2023 zu verschaffen haben.
In der Begründung hiess es u.a.: „…Inhaltlich habe der Antragsteller einen Anspruch auf Durchführung des Konzerts aus Art. 3 Grundgesetz in Verbindung mit der Selbstbindung der Verwaltung. Denn die Festhalle sei als Event- und Konzerthalle aufgrund der bisherigen Benutzungspraxis allgemein für Veranstaltungen und Konzerte von internationalen Künstlern sowie für Messen, Ausstellungen und Kongresse von Unternehmen gewidmet. Insoweit habe der Antragsteller einen Verschaffungsanspruch auf Zugang zu der Halle, den die öffentlichen Träger durch Einwirken auf den privatrechtlichen Betreiber zu erfüllen hätten. Das für den 28.05.2023 geplante Konzert sei vom Widmungszweck der Festhalle umfasst. Eine konkludente Widmungsbeschränkung aufgrund der besonderen historischen Bedeutung der Festhalle ergebe sich weder aus der bisherigen Benutzungspraxis noch aus anderen Umständen wie etwa den Gedenktafeln. Durch die Entziehung der Nutzung der Festhalle werde der Antragsteller in seinem Grundrecht auf Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes verletzt. Die Konzertveranstaltung des Antragstellers sei als Kunstwerk zu betrachten. Bei einer Beschränkung der nach dem Grundgesetz schrankenlos gewährten Kunstfreiheit müsse entsprechend den verfassungsrechtlichen Wertungen zur Meinungsfreiheit bei Kunstwerken, die mehrere nachvollziehbare Interpretationsmöglichkeiten zulassen, diejenige Lesart gewählt werden, die nicht als in irgendeiner Form rechtswidrig oder gar sanktionsbedürftig einzustufen sei. Danach verletze das Konzert des Antragstellers nicht die Menschenwürde der in der Festhalle misshandelten jüdischen Männer und es lasse sich eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Geltungs- und Achtungsanspruchs der in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden nicht zweifelsfrei feststellen. Zwar bediene sich der Antragsteller im Rahmen seiner Bühnenshow offenkundig einer an die nationalsozialistische Herrschaft angelehnten Symbolik“.
Gerade vor dem historischen Hintergrund der Festhalle möge die Bühnenshow daher als besonders geschmacklos zu bewerten sein. Eine solche Bewertung entziehe sich jedoch der verwaltungs- bzw. verfassungsrechtlichen Prüfung. Entscheidend sei allein, dass der Auftritt des Antragstellers in seiner Gesamtschau nicht den Schluss zulasse, dass der Antragsteller nationalsozialistische Gräueltaten verherrliche oder relativiere oder sich mit der nationalsozialistischen Rassenideologie identifiziere.
Anhaltspunkte dafür, dass durch die Bühnenshow des Antragstellers oder von ihm selbst strafbare Handlungen, wie das Verwenden von Propagandamaterial und Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§§ 86, 86 a Strafgesetzbuch) oder Volksverhetzung (§ 130 Strafgesetzbuch), begangen würden, seien nicht ersichtlich.“
Spätestens nach diesem Vorgang muss wieder in den Fokus der Diskussion rücken, welche Veranstaltungen künftig in der Festhalle stattfinden und wie der Geschichte des Ortes Rechnung getragen werden soll.
Den Mitgliedern im Ortsbeirat 2 ist es ein Anliegen, dauerhaft und angemessen an die Geschehnisse im November 1938 zu erinnern. Neben den Benennungen der beiden zentralen Plätze vor der Festhalle, bzw. im Eingangsbereich der Messe nach vier Frankfurter Holocaustüberlebenden – die stellvertretend für die Millionen von Opfern der NS-Diktatur in Deutschland und Europa stehen – fordern sie die Messe und die Stadt Frankfurt/ Main auf, in Zusammenarbeit mit der Jüdischen Gemeinde und den Mitgliedern des Gremiums ein tragfähiges Konzept zu erarbeiten und zu verstetigen, welches dauerhaft an diesen Teil unserer Geschichte erinnert – besonders vor dem Hintergrund des derzeit wieder erschreckend erstarkenden Antisemitismus in Deutschland und Europa.
Antragsteller:Suzanne Turré, Nathaniel Ritter, Hans-Jürgen Hammelmann |
Fraktionsvorsitzende:Suzanne Turré, Dr. Sophie Hartmann, Hans-Jürgen Hammelmann |